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Trofjdem und gerade deswegen

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Ich war selber nicht in der Kriegsgefangenschaft und erzähle im folgenden nicht ein eigenes Erlebnis, sondern das eines jungen Freundes, das mir wert erscheint, aufgezeichnet und weitererzählt zu werden.

Das sind seine Worte:

Es war am Gründonnerstag 1942. Wir hatten weder Munition noch Proviant und konnten aus unserem Bunker nicht mehr heraus. Wir ahnten, daß wir von allen Seiten umzingelt waren. Die Hoffnungslosigkeit machte uns unendlich müde, die Sinnlosigkeit der Kämpfe und Leiden der vergangenen Jahre war uns aufgegangen. Ein Gesetz bestand noch in unserem verlorenen Haufen: die Kameradschaft. Ich war schon lange nicht mehr zum Zelebrieren dazugekommen, aber an diesem Gründonnerstag drängte es mich danach, die Messe zu lesen. Die Kameraden hatten nichts dagegen, und wir schmückten den Bunker so gut wir konnten. Stumm standen sie um mich herum, als ich, ein von Erde beschmutzter Soldat wie sie, die heilige Handlung auf unserm Tisch feierte. Wir fühlten, wie wir neuen Leiden und neuem Tod entgegengingen, ölberg und — für viele — Golgatha warfen bereits ihre Schatten über uns. Wie leichthin sagt man oft: „Priusquam pateretur, aeeepit panem ...“ Wie bedeutungsschwer klangen mir an jenem Gründonnerstag diese heiligen Worte. Hernach hielten wir ein kleines Mahl, das heißt, wir kauerten in der Grube und aßen die letzte Scheibe Brot, es sollte wirklich unser letztes gemeinsames Mahl werden. Keiner wurde davon satt. Dann brach die Nacht herein, und in der Ferne erhob sich neuer Schlachtenlärm. Wir harrten stumpf auf das unabwendbare Ende.

In der Nacht griff uns der Feind überraschend an, und plötzlich flog eine Handgranate mitten in unsern Bunker. Rechts vor mir stand ein Landser. Er stürzte, als die Granate aufflog, vor mich hin, als wollte er mich schützen. Da ein Aufschrei, und ich sah, wie er sich den zerfetzten Fuß hielt. Er wird nie mehr damit gehen können. Wie selbstverständlich er es getan hatte, ebenso schlicht trug er es. Mir fiel das Wort Jesu ein: „Er gab sein Leben für seine Freunde.“

Eine Weile später wurden wir gefangen. So oft hatte ich mir diese Situation vorgestellt, und doch kam alles ganz anders. Es ist etwas anderes, wenn man Kriegsgefangene marschieren sieht, als wenn man sich selber in dem endlosen Zug gebrochener Menschen dahin-schleppt, wie es dann wirklich war. Die Männer waren in Lumpen gekleidet, viele trugen Fetzen an den Füßen statt der Schuhe, die Verwundeten waren kaum verbunden, die Kranken zitterten vor Fieber und Angst, daß sie erschossen würden, wenn sie nicht weiter konnten. Ein unbarmherziger eisiger Wind fegte über uns und ließ die Haut erstarren. Schritt für Schritt schleppte sich die Menschenschlange dahin, von Hunger und Müdigkeit zermürbt, sie floß weiter wie ein träger Brei und wurde schließlich in Eisenbahnzüge aufgenommen. Achtzig bis hundert Mann in einem Viehwagen. Dort verbrachten wir die Karfreitagnacht. Wir waren so aneinan-dergepreßt, daß wir stehen mußten, und als ich einmal vor Müdigkeit niedersank, wurde ich vom Nachbarn mit schrecklichen Flüchen beschimpft, weil ich sein verwundetes Bein gestoßen hatte. In dieser äußersten Not hörte auch die Kameradschaft auf. Jeder dachte nur an sich und strebte gierig danach, sein Leben zu retten. Schreckliches sah ich da. Neben mir schnitt einer Fleisch von einem Toten und aß es. Einen andern sah ich, Goldzähne aus einem Leichnam brechen. Es war grauenhaft. Damals begann bereits das große Sterben in den Massen. In meiner Baracke raffte der Tod fünftausend Mann dahin. Man muß sich diese fünftausend Männer vorstellen, denn als Zahl lassen sie das Herz kalt. Doch das geschah später und ich will ja von den Kartagen erzählen. In dem Lager, in das wir kamen, war ein deutscher Kommandant. Bei unserem Einzug schwang er zur Begrüßung seine große Hundepeitsche, doch es blieb nicht bei diesen Luftstreichen als einer symbolischen Geste. Ich bekam nur einen Streich von ihm über den Rücken gezogen, aber den werde ich selbst im Fegefeuer nicht vergessen. Das war meine Geißelung. Man hat übrigens den von allen tausendmal Verfluchten bald darauf erschlagen aufgefunden. Judasschicksal!

Alles kam, sogar die Kleiderberaubung. In Hemd und Hose kauerte ich in der Kälte und dem Gestank in einem Winkel und weinte und wünschte — ältester aller Wünsche des Menschen in der äußersten Not — nicht geboren zu sein. Da hörte ich, wie einer neben mir mit seiner letzten Kraft einen Satz sich immer wieder vorsagte.

„Was sagst du?“ frug ich.

„Laß mich, das verstehst du nicht.“ Nun horchte ich genauer hin. Er sagte:

„Er ist auferstanden, er ist wahrhaft auferstanden, trotzdem und gerade desr wegen ist er auferstanden.“

Es war ein junger protestantischer Theologe, der sich so angesichts des! Todes an den Glauben klammerte. Da griff ich mit der Hand auf die Brust, denn ich trug seit langem ein kleines Evangeliumbuch um den Hals gebunden. Da wurde ich getröstet wie der Heiland am Kreuz. Ich trug seine Verheißung auf dem Herzen. Er ist wahrhaft auferstanden. Der Bruder neben mir mit seinem „Trotzdem und gerade deswegen“ ist gestorben, das heißt er ist zu den Auferstandenen eingegangen. Mir wurde in dieser Stunde der äußersten Anfechtung der Glaube neu geschenkt.

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