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Versunkene Epochen

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„Am 25. Dezember 1857 lasen die erstaunten Wiener in der .Wiener Zeitung': ,Es ist Mein Wille, daß die Erweiterung der inneren Stadt Wien mit Rücksicht auf eine entsprechende Verbindung derselben mit den Vorstädten ehemöglichst in Angriff genommen und hiebei auch auf die Regulierung und Verschönerung Meiner Reichshaupt- und Residenzstadt Bedacht genommen werde. Zu diesem Ende bewillige Ich die Auflassung der Umwallung und Fortifikation der inneren Stadt sowie der Gräben um dieselbe.'“ Mit diesem Erlaß Kaiser Franz Josephs beginnt das „Wiener Vorstadt, Wiener Vorort“ betitelte Einleitungskapitel zu Siegfried Wey Werk „Wien, Zauber der Vorstadt“, das eine wertvolle Ergänzung zu der Im Vorjahr erschienenen „Magie der inneren Stadt“ darstellt.

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„Am 25. Dezember 1857 lasen die erstaunten Wiener in der .Wiener Zeitung': ,Es ist Mein Wille, daß die Erweiterung der inneren Stadt Wien mit Rücksicht auf eine entsprechende Verbindung derselben mit den Vorstädten ehemöglichst in Angriff genommen und hiebei auch auf die Regulierung und Verschönerung Meiner Reichshaupt- und Residenzstadt Bedacht genommen werde. Zu diesem Ende bewillige Ich die Auflassung der Umwallung und Fortifikation der inneren Stadt sowie der Gräben um dieselbe.'“ Mit diesem Erlaß Kaiser Franz Josephs beginnt das „Wiener Vorstadt, Wiener Vorort“ betitelte Einleitungskapitel zu Siegfried Wey Werk „Wien, Zauber der Vorstadt“, das eine wertvolle Ergänzung zu der Im Vorjahr erschienenen „Magie der inneren Stadt“ darstellt.

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Weyr unternimmt eine Wanderung durch die zahlreichen Ortschaften, die seither längst als Bezirke dem Stadtbild das Gepräge geben, und beschwört eindringlich und anschaulich längst versunkene Epochen herauf. Über die Entstehung der Ringstraße berichtet der Autor: „Nur wenige Wiener wissen, wer eigentlich das Projekt für die Ringstraße entworfen hat. Es war Ludwig Förster aus Bayreuth, der seit 1818 in Wien lebte. Von neuen Raumanschauungen getragen, offenbart Försters Planung die grundlegende Wandlung des Raumgefühls, die das 19. Jahrhundert von dem barocken Zeitalter abhebt.“

Breit und staubig verliefen die Gassen der Wiener Vorstadt, bergauf, bergab. Nicht selten endeten sie bei Ziegelöfen, Sandgruben, an die sich In der Erntezeit weithin wogende Kornfelder anschlössen. Man denke ans Breitenfeld, ans Büenfeld und ans Lerchenfeld. Der Augarten war ein „allen Menschen gewidmeter Erlustigungsort“, die Brigittenauer Lände das Alt-Wiener Hafenviertel. Hier landeten die großen Donauplätten, die alles mögliche nach Wien gebracht haben, vor allem Menschen, die aus Bayern, aus Franken nach Wien kamen, um hier ihr Glück zu machen. Eingehend befaßt sich Weyr mit dem alten Carl-Theater, auf dessen Bühne Nestroy 1833 den „Lumpazivagabundus“ vierzigmal hintereinander gab. Noch immer zittert um den großen Prater etwas von dem feudalen Geheimnis, das den kaiserlichen Wildbann umgab, In dem die Hirsche, Wildschweine, Hasen, Wölfe, Füchse und Dachse einst warteten, bis „allerhöchste und höchste Herrschaft“ auf sie pirschte. Erst vor 90 Jahren ist der letzte Praterhirsch geschossen worden. Die mittelalterliche Siedlungsform der Vorstadt ist im heutigen Grundriß der Landstraße unmittelbar erhalten. Nicht unerwähnt so! eine Begegnung Beethovens mit Grillparzer in Hetzendorf bleiben, charakterisiert

sie doch die Lebensart dieser beiden Großen des Geistes. Nach eingehender Würdigung der Geschichte des Schlosses Schönbrunn kommt Weyr auf den Tiergarten zu sprechen: „Noch ist trotz mancher Modernisierung die 1752 von Maria Theresia und Franz von Lothringen gegründete Menagerie im Grunde das seltsame Wunder eines barocken Tiergartens, einer .Hofmenagerie', deren Gesamtanlage eine künstlerische Geschlossenheit ahnen läßt, so sehr Generation nach Generation daran herumexperimentiert hat.“ Die Schmelz war eine regelrechte „Gstetten“, ehe Franz Joseph sie zum Exerzierplatz der Wiener Garnison ausersah und dort alljährlich an seinem Geburtstag die berühmte Kaiserparade abhielt. Das Mechi-taristenkloster bezeichnete Weyr als eine Zitadelle des Geistes. Die

Mönche, diese Diener Gottes aus den Gefielden um den Berg Ararat, sind fast 150 Jahre schon in Wien. Das Volk nennt sie „Altglauber“. Das Volkstheater galt als Theaiter der Wiener Großbürger, in der Makart-zeit erlebte es seine Hochblüte. Einst dienten und zinsten den Awaren, deren krumme Säbel und silberne Armbänder mit Tierornamenten man in ihren weithin verstreuten Gräbern findet, auch im Tal der Als wie in anderen alten Siedlungen um Wien die Slawen. Spurlos sind alle dahingegangen, nur ihr Erlenbach blieb, die Als, die Alser-straße, der Aisergrund und die Aiserbachstraße. Grinzing blieb lang ein Dorf, ein stilles, verträumtes Dorf in ewiger Mittagsstille. Ein Dorf, an dem die Zeit vorbeiging, auch als es längst eingemeindet war. Bis das große Geschäft mit dem Heurigen entstand. Mit folgender Schilderung des Kahlenberger Friedhofs beschließt Siegfried Weyr seinen Rundgang durch eine längst versunkene Landschaft: „Noch steht unverändert das Betkreuz, das die Verwandten des Fürsten von Ligne zu seiner Erinnerung setzten, aber keine Beter kommen mehr, seiner zu gedenken. Dahin, verrauscht, vergessen! So dicht ist der Baumikranz um den Friedhof gewachseh, daß er den Gottesacker in Stille und Geheimnis bewahrt.“

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