7105425-1995_28_13.jpg
Digital In Arbeit

Wäre der Mensch dem Menschen ein Wolf...

Werbung
Werbung
Werbung

Miroslav Blam heißt der Held in Aleksandar Tismas Roman, doch ist er das Gegenteil dessen, was von einem Helden erwartet wird. Von seiner Rolle als Schützling im gut bürgerlichen jüdischen Haushalt mit Anspruch auf höhere Bildung wechselt er nahtlos in den Schoß der Ehe mit einer Christin, was ihn vor der Vernichtung durch die deutschungarische Besatzung in Novi Sad während des Zweiten Weltkriegs bewahrt. Gerettet, also? Mitnichten, denn „er hörte auf, irgendetwas zu sein, er wurde ein Nichts”.

Ein Pendant zum alttestamentarischen Hiob, wird Blam einer einzigen Prüfung unterzogen, nämlich, selbst keine bestehen zu müssen, indem er selbst verschont wird. Im Gegensatz zu seinem biblischen Vorbild findet er keinen Glauben, sondern fällt einem Existentialismus anheim, der ihn schlichtweg sein läßt. Als Bandfigur bleibt Blam allein die Rolle des Zuschauers, und in dieser bringt er es zu großer Meisterschaft.

Er fällt nicht einmal dann aus dieser Rolle, als er von der Straßenbahn aus seine Frau in den Armen ihres Liebhabers Predrag Popadic beobachtet. Seine anfängliche Bestürzung schlägt jäh in „ungewollte Bewunderung” um, „die beinahe in Rührung überging. Es war eine Umarmung zum Abschied”. Doch nicht etwa den Abschied vom Geliebten glaubt Blam zu sehen, sondern den „Abschied von ihm, der so anders als sie und ihr fremd war, ein endgültiger Abschied, der jenen Krampfund jene Spannung löste, die ihre Beziehung von Anfang an belastet hatten”.

Nicht genug damit, daß dieser Popadic Blam nach dessen Heirat eine Wohnung und seiner Frau eine Arbeit in einem Restaurant verschafft hat, ist es derselbe, der, einst Geliebter von Blams Mutter, nun möglicherweise auch der Vater von Blams Tochter sein könnte. Als kollaborierender Chefredakteur der Stadtzeitung wird Popadic auf grausame Art von den Partisanen erschossen, Blam bleibt wieder verschont. Doch nicht etwa einem rasch wechselnden Opportunismus hat er sein Leben zu verdanken, sondern seiner Bedeutungslosigkeit. Kr kann auch nach dem Krieg seine Wohnung im Merkur Palast, dem bedeutendsten Gebäude von Novi Sad, behalten.

Er bleibt zurück „wie ein vergessener Gegenstand, wie das Fossil einer vergangenen Epoche. Was er auch wirklich ist, denn ihn hat der Wind eines verschwundenen Klimas hergeweht, des Klimas der Okkupation, das scharf und erbarmungslos war, aber gemäßigt für ihn, den getauften und mit einer Christin verheirateten und deshalb vof der Vernichtung bewahrten Juden.” Doch nicht immer wartet Tisma mit einem ähnlich dichten Bündel an Metaphern auf.

Nüchternheit kennzeichnet das Erzählen, wenn etwa die „ehemalige Judengasse” zur 13 Punkte langen Liste der Deportationen und Ermordungen während der deutsch-ungarischen Okkupation im Zweiten Weltkrieg und der darauffolgenden Partisanen-regierung wird. Ohne Pathos listet Tisma, Hausnummer für Hausnummer, von 1 bis 13, die Greuel der Kriegs- und Nachkriegszeit auf. Etwa: „In Nr. 8 lebt Elsa Baumann, die schielende Witwe eine Geometers, der jung an einer aus dem Ersten Weltkrieg stammenden Nerventzündung gestorben war. Sie hatte einen einzigen Sohn... Beide kamen bei der Razzia 1942 um.” Oder: Armin Weiß, ein pedantischer und gründlicher Mann, welcher das Schuhgeschäft in Nr 10. unterhielt, „entging der Zwangsarbeit, die die Militärverwaltung'der Stadt für alle Juden vorgeschrieben hatte, und überlebte wenige Monate später die Razzia. Aber als 1944 die Pfeilkreuzler an die Macht kamen, wurde er mit Frau, zwei Töchtern und Schwiegermutter nach Deutschland deportiert, von wo keiner von ihnen zurückkehrte”.

Ähnlich erging es Arthur Spitzer von Nr. 13, der, getauft, den Verfolgungen zunächst entging. Aber „als die kleine jüdische Nichte abgeholt wurde, um deportiert zu werden, begleiteten Spitzer und seine Frau das Kind zum Bahnhof in der Hoffnung, es mit Hilfe ihrer Bescheinigungen und Beziehungen retten zu können. Man pferchte sie zusammen mit der Kleinen in einen Waggon nach Auschwitz; dort wurde Spitzer von Frau und Nichte getrennt, und sie kamen alle um”.

Am Ende der Judengasse steht die Synagoge, Symbol und Faktum in einem. In den Tagen der Razzia wird sie zur ersten Station für die in Novi Sad und in den umliegenden Dörfern ansässigen Juden.

Ohne Pathos schildert Tisma den Hergang der grausamen Verbrechen. Die Deportierten wußten längst um den Abtransport, sie hatten bereits kapituliert, es blieb nur ein Störfaktor, eine Gruppe von Hunden nämlich, die ihre einstigen Besitzer noch immer als solche anerkennen. Sie sind die einzigen, die es wagen, offen gegen die Besatzung, gegen die Deportation ihrer Herren aufzubegehren.

Auf zwei Seiten schildert Tisma ohne falsches Sentiment, klar und nüchtern, wie diese Hunde, „es waren nicht viele, höchstens fünf oder sechs”, immer wieder „darauf be harrten, in ihrer Begriffsstutzigkeit und tierischen Vertrauensseligkeit sich so nahe wie möglich bei denjenigen aufzuhalten, denen sie noch zu gehören meinten”.

Die Hunde sind es, die sich von den Tritten und Schlägen der Wächter nicht abhalten lassen, ihre Treue und Zuneigung zu zeigen. Einmal dürfen sie ihren Menschen aber noch begegnen.

„Während der Wartezeit vor dem Verladen auf dem Bahnhof hatten die Hunde noch einen schönen Augenblick: sie stießen ihre Schnauzen gegen die Körper ihrer Herren und bekamen ein paar aufgesparte Happen. Dann blieben sie allein zwischen den Schienen. Ein Weilchen liefen sie dem Zug nach, dann gaben sie auf, weil sie den vertrauten Geruch nicht mehr witterten. Sie sahen verwundert auf die Felder und Gräben, .. .und trollten sich einer nach dem anderen in Richtung Stadt.”

Homo homini lupus est? Ist der Mensch demnach tatsächlich dem Menschen bloß ein Wolf?

Indes wird menschliche Grausamkeit zum Alltag. Die Banalität des Bösen auch in der Tat als solche zu schildern, versteht Aleksandar Tisma auf erschreckende Art. Es bleibt gleich, in welchem Namen die Terrorisierungen, Folterungen, Morde ausgeübt werden, ob ganze Familien ausgerottet, ob einzelne auf brutalste Weise umgebracht werden.

Die Synagoge als Durchgangslager oder Konzertsaal, wo Blam einem anderen Überlebenden begegnet, dem Grundstückmakler Leo Funkenstein. Während Blams Schwester Esther, die im kommunistischen Widerstand engagiert war, getötet wurde, seine Eltern deportiert wurden, bleibt er als letzter seiner Familie übrig, ohne die Grausamkeiten selbst verspürt zu haben. Funkenstein aber war im KZ. Er hat die Gefangenen auf ihrem Weg zur Hinrichtung mit seinem Geigenspiel begleitet und damit sein eigenes Leben gerettet. Als falscher Rächer von Blams Eltern könnte er Blam erschießen lassen oder erschießt ihn vielleicht letztendlich doch. Ob dieser Mord aber bloß eine Eskapade von Blams Phantasie ist, bleibt gegen Ende des Buches offen.

Was indes bleibt, ist die Aussicht auf den nächsten Krieg.

Tisma enthält sich aller billigen Appelle an die Moral, er erzählt, kunstvoll, schlicht und einfach, auf hohem Niveau. Sein Roman „Blam” ist ein Meisterwerk literarisierter Geschichte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung