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Der geheimnisvolle Ritter

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Es war kein lebendiger Ritter, auch keine Menschenpuppe in einem richtigen Rüstzeug aus mittelalterlichen Tagen und kein lebensgroßes oder verkleinertes Abbild einer Rittergestalt in Erz oder Holz oder in hingemalten Farben. Nein, mein Ritter war ein unscheinbares Ding aus Messingblech, gepanzerten Schulter und darüber ein Ritterhelm mit halbgeöffnetem Visier, das Ganze in flachem Relief gebuckelt, beiläufig so groß wie ein halber Daumen, und rückwärts war quer eine Nadel angebracht, so daß man es etwa als Brosche anstecken konnte. Vielleicht waren damals — es war die Weihnacht um meih siebentes Jahr herum — im letzten Augenblick meiner Mutter die für mich bereiten Geschenke neben denen für meine Geschwister zu gering erschienen und da hatte sie rasch noch nach einer Draufgabe' Umschau gehalten. Sie hatte wohl in der alten kjeinen Truhe aus ihrer Jungmäddienzeit nachgesucht, wo allerlei kindlicher Schmuck und Tand aufbewahrt war. Freilich eignete sich davon nichts recht für einen heranwachsenden Knaben — doch, diese Nadel mit dem Ritter konnte man am ehesten dafür wählen, wenn sie auch nur ein fragwürdiges Geschenk war. Ich erinnere midi noch, daß ich bei genauerer Besichtigung an der Rückseite Kreidestaub entdeckt hatte. Da hatte die Mutter wohl in Eile dem Geschenk neuen Glanz verliehen, daß es ein Ansehen hätte„ als wäre es eitel Gold. Sie mochte allerdings kaum ahnen, daß sich bei mir bestimmt keine stärkere Wirkung des Geschenks eingestellt hätte, auch wenn der Ritter aus reinstem Gold geformt gewesen wäre. Denn die Bedeutung dieses Geschenks für mich hing durchaus nicht vom Wert des Materials ab, sondern schöpfte auf wunderbare Art aus anderen Quellen; sie wuchs so schnell und überraschend, daß ich den übrigen Geschenken nur sehr wenig Beachtung widmete. Und noch heute, in der Erinnerung über Jahrzehnte hin, verschattet der Ritter alle andern Weihnachtsgeschenke, die ich in den Kinderjahren empfangen hatte, dergestalt, daß mir kein einziges von ihnen mehr klar gegenwärtig ist. Ihn aber, den Ritter, der mir bedeutungsschwerer entgegentrat als jemals ein Mensch von Fleisch und Blut, habe ich noch heute klar vor meinen Blicken und fühle mit nie abnehmender Verwunderung seine geheimnisvolle Wichtigkeit für jene fernen Kindheitstage.

Meine Mutter war sichtlich erstaunt darüber, daß gerade dieses geringfügige Geschenk einen so starken Eindruck auf mich ausübte, und suchte meine offenbare Neigung zu diesem Gegenstand durdi Angaben von allerlei Verwendungsmöglichkeiten zu stützen. Sie meinte, ich könnte den Ritter als einen Orden an ■ der Brust tragen, wie die Offiziere, die ich bei den Manövern gesehen hätte, oder ich könnte ihn wohl auch zum Anstecken von Blumen an meinem Rock benützen. Auch andere Ratschläge gab sie noch, und da meine Einbildungskraft der ihren sehr verwandt war, fielen diese Anregungen auf fruchtbaren Boden. Ich nickte nur immer glücklich zustimmend und .konnte kein Wort hervorbringen. Aber in meinem Kopf und in meinem Herzen schlangen sich Gefühle und Gedanken durcheinander, die noch weit über die Andeutungen meiner Mutter hinausgingen. Ich hatte damals schon von deutschen Rittern gehört, die sich in langen beschwerlichen Kreuzzügen gegen die Heiden zu bewähren gehabt hatten und die in Asien bis an das Grab des Heilands vorgedrungen waren. Der Besitz des kleinen Ritterabbildes besdierte mir allmählich die erhebende Empfindung, als wäre ich selbst eben jetzt von einem unsichtbaren Schwert zum Streiter für alles Hohe und Heilige geadelt worden. Zum erstenmal im Leben fühlte ich ungeahnte Kräfte in mir keimen und es war mir, als habe man ein Fenster vor mir aufgestoßen, durch das sich meinem kindlichen Sinn der Ausblick über das künftige Leben anzeigte, so daß in mir eine Ahnung aufstieg von den Pflichten und Arbeiten, die eines jeden Menschen in der Zukunft harren, von Abenteuern und Taten, die das Dasein für mich bereithalten würde, und ich erschauerte. Ich sah nun in dem Ritter ein erhabenes Beispiel, dem ich unbedingt folgen müßte, einen Meister, vor dem ich täglich mein Tun und Lassen zu verantworten hätte. Auch Leichteres und Heitereres spielte in diesen Zukunftsausblick hinein. O ja, ich wollte auch, wie es die Mutter gesagt hatte, manchmal eine Blume mit dieser Nadel an meinen Rockaufschlag befestigen und dann würde ich noch selbstbewußter vor die kleine Lisbeth, die Tochter des Großbauern aus dem Nachbardorf, hintreten können.

Eines Tages hatte ich den Ritter verloren. Ich bemerkte den Verlust am Morgen, als ich beim Anziehen in den Spiegel blickte. Ich erschrak im ersten Augenblick heftig und überlegte, wo ich das Verlorene zu suchen hätte. Aber im Hause war es nirgends auffindbar und draußen im Freien hatte ich wohl wenig Aussicht, es zu entdecken, denn am Tage vorher hatte ich die ganze freie Zeit über in der schneereichen Umgebung herumgetollt, war auch von einem Berg mit dem kleinen Schlitten zahllosemal abgefahren und hatte mich mit Schlittschuhen auf dem Eis getummelt. Ich bemerkte jedoch sehr bald, daß mich der Verlust durchaus nicht unglücklich machte, im Gegenteil, es festigte sich in mir immer mehr das wohltuende Gefühl, daß mir der Ritter im Grunde genommen doch nicht verloren war, denn das Eigentliche an ihm war nicht das Abbild aus Messingblech, sondern ein Wunderbares, das mir unverlierbarer Besitz geworden war, und so brauchte ich nicht um die verschwundene Nadel zu trauern.

Meiner Mutter schien es nicht aufzufallen, daß das ritterliche Abbild nie mehr an mir zu sehen war, oder vermied sie es mit weiser Absicht, mich danach zu fragen. So war es auch gut, denn das Verschwinden der Nadel entsprach doch der geheimnisvollen Art ihres Auftauchens und ihrer Wirkung.

Oftmals in meinem Leben faßte ich den Vorsatz, doch noch einmal mit meiner Mutter über diesen geheimnisvollen Ritter zu sprechen, sie zu fragen, wie ihr der. Einfall gekommen wäre, daß sie mir damals dieses Geschenk gemacht hatte, und über ihre Absichten dabei, und ob auch sie sich der tiefen Wirkung, die das Geschenk auf mich ausgeübt hatte, voll bewußt gewesen wäre. Besonders wenn ich nach langer Trennung wieder einmal nach Hause reiste, beschäftigte ich mich von neuem mit diesen Wünschen. Sonderbarerweise unterließ ich dann doch immer wieder solche Fragen, als hielte mich eine uneingestandene Scheu davor zurück, das Geheimnisvolle jenes Kindererlebnisses deutlicher aufhellen zu wollen. Aber ich bereute es nie, denn das “Wunder jener Wirkung des Ritters blieb dadurch noch schöner geborgen. Ja, als die Mutter, mehr als achtzigjährig, dahingeschieden war, wut'de dieses unbesprochene Geheimnis für mich eine Bindung mehr mit ihr über die Grenzen des Lebens hinaus.

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