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Die Autobahnkirche bei Florenz
Die Galerie nächst St. Stephan zeigt einen schönen und liebenswürdigen italienischen Bau: die 1964 geweihte Kirche S. Giovanni Battista an der Autostrada dei Sole nahe Florenz von Giovanni Michelucci. Günther Feuerstein hat die Ausstellung aus Handskizzen, Modellen, Plänen und Konstruktionszeichnungen zusammengestellt, das nicht ganz ausreichende Photomaterial durch Positionsangaben im Grundriß möglichst instruktiv gemacht und bei der Eröffnung durch Lichtbilder ergänzt.
Die Kirche — schwer zu beschreiben für den, der sie nicht wirklich gesehen hat — ist ein Meditationsobjekt; sie führt den Betrachter durch Räume, die wechselvolle Ansichten bieten, auf eine Galerie, die auch nach außen reicht. Ursprünglich sollte das Bauwerk auch von außen erstiegen werden können. Es beruht gleichwohl auf der Kreuzform, aber der Kreuzgrundriß versammelt hier nicht die Gemeinde um einen zentralen Altar, vielmehr befinden sich ein Haupt- und zwei Nebenaltäre an den Enden der Kreuzarme. Der Raum scheint insofern vieldeutig zu sein, als er die Versammlung an vielen Stellen ermöglicht.
Feuerstein präsentiert diesen Bau nicht ohne programmatische Absicht. Er vergleicht ihn mit verschiedenen Architekturbeispielen aus den letzten hundert Jahren, die eine ähnlich bewegte, ungeometrische Formenwelt bieten und so zu den beigefügten Thesen „Architektur als Landschaft“, „Architektur als Abenteuer“ passen. Der Bau habe eine Ordnung, die nichts zu tun habe mit Geometrie, eine Regel, die nichts zu tun habe mit Regelmäßigkeit.
Statt aber mit solchen Aussagen in unbestimmten Negationen zu bleiben, wäre es notwendig, sich die jeweilige produktive Gedankenwelt vor Augen zu führen, die diese Werke hervorgebracht hat. Alsbald käme nämlich zutage, aus velchen verschiedenen Wurzeln oberflächlich
ähnliche Werke wie Gaudis Sa-grada Familia, Steiners Goethe-anum, Schwitters' Merz-Blau, Le Corbusiers Kapelle in Ronchamp und Scharouns Berliner Philharmonie gespeist sind, und daß diese Formerfindungen undenkbar sind ohne die vorhergegangenen Anstrengungen des Begriffs, der Überzeugung, ja der Ideologie.
Auch bei Micheluccis Autobahnkirche handelt es sich nicht um Negation des Gedanklichen, Planmäßigen, sondern im Gegenteil darum, daß der Architekt jeden Punkt von neuem überlegte und so für konstruktiv ähnliche Probleme immer neue Lösungen fand. Michelucci ist 74 Jahre alt; er hat schon viele Kirchen gebaut, von denen man die meisten als „konventionell“ bezeichnen würde. Er hat seine Gedankenwelt zu einem Punkt gebracht, wo er seinen formalen Erfindungsreichtum ausspielen und in eine konkrete Einheit bringen konnte, ohne ihn in ein System bringen zu müssen, das auf
Wiederholung beruht. Er hat ausgesprochenermaßen die Absicht gehabt, einen Bau zu errichten, der den Mann auf der Straße beeindruckt, aber er war so weit, daß er das konnte, ohne an der Oberfläche zu bleiben.
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