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Die Illustration

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Sie ist das Ergebnis der Inspiration vom Literarischen her. Aber beileibe nicht kongenialer Liedmusik vergleichbar, das ist ein ganz anderer Widerhall. Die Illustration ist die reflektive Kunst an sich und so sehr vom Gedanken, den ein anderer dachte, beeinflußt und überwältigt, daß man keinen eigenen schöpferischen Atem zu verspüren vermeint und daher auch versucht ist, ihren Wert und ihre Berechtigung anzuzweifeln. Wenn sie isoliert dasteht, wenn wir den zu ihr gehörigen Text z. B. nicht kennen würden, wissen wir fast nichts damit anzufangen. Sie hat kein Eigenleben. Unter den Zweckkünsten stellt sie einen Fall dar, der so hart an der Grenze liegt, daß es mißgünstiger Orthodoxie leicht gelänge, ihn über diese zu bringen und solchermaßen aus dem Reiche der Kunst überhaupt zu verweisen. Der illustrierende Maler oder Zeichner empfängt nichts aus sich, er bekommt alles aus zweiter Hand. Und was er erhält, das gibt er an uns weiter. Da erhebt sich aber die Frage, ob dieser Umweg über den Künstler, mit dem literarischen Werk vertraut zu werden, so offensichtlich nötig ist, ob wir wirklich der Unterstützung durch ihn so sehr bedürfen. Denn es ist ja anscheinend nicht anders, als daß die Illustration nur Hilfe sein will.

Ist sie also nur Krücke dem Geisteslahmen, Einfältigen, Phantasielosen, dem das oft homerisch-breite Wort des Dichters nicht genügt, dem der Krönungsornat des Königs oder die Lumpen des Bettlers greifbar vor die Augen gestellt werden müssen, weil es ihm sogar an der Vorstellungskraft gebricht, sich allgemein bekannte Dinge selbst „ausmalen“ zu können? In er Tat ist ja nichts betrüblicher und für den Leser herabsetzender als der Umstand, daß wir heute noch Illustrationen, besonders zu Romanen in manchen Wochenzeitungen, vorgesetzt bekommen, die nichts als den nackten Tatbestand — und diesen in der primitivsten Weise — aufzeigen. Wir wollen es uns gerade im Hinblick darauf gerne eingestehen, daß wir der Beihilfe, die uns die Illustration gewährt, im Grunde genommen entraten können.

Es besteht aber auch kein Zweifel darüber, daß nicht nur wir, sondern auch das literarische Werk der Illustration nicht bedarf. Ist nicht jede wahre Dichtung fähig genug, alles so vor mich hinzustellen, daß ich es ohne weiteres erfassen, erleben kann? Ist sie nicht allein so mächtig, in mir die Flamme nr.ch-gestaltender, Phantasie anzufachen, gelingt cs nicht dem mächtigen Flügelschlag des Hippo- gryphen allein, mich in die Wunderwelt des Dichters zu tragen? Nein, die Dichtung braucht keinen Bundesgenossen, sie schafft es, ohne daß ihr jemand unter die Arme greift.

Ich kann mir nicht helfen, aber wenn ich es so recht bedenke, kommt es mir sehr . verwunderlich vor, daß es überhaupt jemals jemand gab, der sich daran machte — hier wird nur eines Werkes für viele gedacht —, die Fausttragödie Goethes zu illustrieren. Was Goethe selbst von der Illustration hielt, läßt sich am besten einem Briefe an Cotta entnehmen, in dem es an einer Stelle heißt: „Den Faust, dächt’ ich, gäben wir ohne Holzschnitte und Bildwerk. Es ist ja so schwer, daß etwas geleistet werde, was dem Sinne und dem Tone nach zu einem Gedicht paßt. Kupfer und Poesie parodieren sich gewöhnlich wechselweise. Ida denke, der Hexenmeister soll sich allein durchhelfen.“ Und dennoch sind es Hunderte, die nicht im mindesten vor der Monumentalität dieser Dichtung den Mut verloren, sich nicht elend klein beim Versuche vorkamen, dem Hexenmeister dennoch zu helfen, ihm mit „erläuternden“ Bildern zu versehen. Ja, es ist unter ihnen auch ein Peter Cornelius zu finden Goethe war mehr betroffen als befriedigt von seinen Zeichnungen, ein Führich, Delacroix, Kaulbach, Schwind, Slevogt, bis herauf zu Walther Klemm und Barlach, Künstler, die man nicht so ohne weiteres des Mangels an Ehrfurcht vor der geistigen Großtat eines anderen wird zeihen können, der sie nichts Gleiches an die Seite zu setzen vermochten Max von Boehn stellte einmal fest: „Die zeichnenden Künste haben Goethes Faust gegenüber versagt.“

Damit .sind wir beim Kardinalpunkt angelangt. In der Frühzeit des Buches fiel der Illustration die Aufgabe zu, das Buch zu schmücken. Vom Illuminieren, das aber einen mehr abstrakten, ungebundenen Charakter hatte, leitet sich ja das Illustrieren ab. Ornamentale Initialen, Leisten und völlig beziehungslose Randzeichnungen genügten. Später ist ein noch gerechtfertigter didaktischer Zug zu verspüren, den sie nie mehr ganz verlieren will. Noch später, z. B. bei Menzel, ist ihr eine konservierende Rolle zugewiesen. Und so wird denn auch heute noch das Feld der Illustration von den Künstlern gerne betreten. Und hier ist einzuschalten: Wenn echt? Dichtung imstande ist, uns alle zu begeistern, so ist sie eben auch fähig, den Künstler zu erheben, zu bezaubern, zu erschüttern. Weil sie dies aber vermag, macht sie gerade in ihm den Drang lebendig, die geschauten Gesichte festzuhalten, sie drückt ihm den Pinsel, den Stift förmlich in die Hand. Es ist ihre suggestive Macht, der er erliegt. Das ist ohne Mühe einzusehen. Aber die Illustration wird nur dann vollen Anspruch auf Wert haben, wenn ihr Schöpfer den großen Gedanken anderer noch einmal denkt. Dann hat sie auch Platz innerhalb der enggesteckten Grenzpfähle der Kunst.

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