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Die Verzweifelten

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Die in ganz verlassenem Elend nach Gott zu rufen vermögen, um ihm ihre Verlassenheit zu klagen, wissen sich immer noch wie von einer unsichtbaren Hand gehalten.

Was muß es aber sein, wenn ein Herz ohne Ende umdrängt wird von Not und Kummer und Qual und Angst, ohne daß ihm einmal Erleichterung würde und es für einen Augenblick freier atmen könnte; und wenn es dann zu ermüden beginnt und ihm wieder Neues und Schwereres aufgeladen wird und wenn es vergebens wartet, daß ihm eine Hoffnung werde, bis es schließlich zermartert seine Qual dem Schöpfer ins Angesicht schreit?

Oder, was muß das Inferno derer sein, über die das Leid wie in Sturzwellen ohne Ende hinweggeht und die sich hochringen und wieder in die Tiefe geschleudert werden, sich aufs neue emporheben und von einer neuen Woge zurückgeworfen werden, bis sie lästernd auflachen, weil ihnen alles sinnlos wird?

Oder hast du einmal in die Abgründe einer Seele geschaut, in der der Schmerz wie ein überlanger Winter alles zum Keimen bereite Leben erstarren ließ, so daß kein Strahl einer neuen Sonne es mehr zu wecken vermag; in die Abgründe einer Seele, deren eisiger Kälte, von der sie erfüllt sind, auch die auftauende Wärme der Tränen nicht mehr vergönnt ist, dieses rettende Geschenk des Himmels für Augenblicke, in denen ein Ubermaß des Leidens für eine Seele tödliche Gefahr werden kann; in die Abgründe einer Seele, der ein Wort des Trostes wie ein Hohn ist?

Vermagst du das Grauen zu ahnen, wenn ein ungetröstetes Leid alles um eine Seele zu unheimlicher Stille ersterben läßt und sie sich in ihre Qual unaufhörlich weiter verstrickt wie das Tier im Netz der Spinne; wenn sich eine solche Seele zum eigenen Verlies wird, so eng, daß, wenn sie in der Verzweiflung aufschreit, der Ton nur ein halber bleibt, weil Hall und Widerhall sich zu rasch begegnen und jede Weite fehlt, in die dieser Schrei hinausdringen könnte; und wenn sie aufschreit, keine Antwort mehr erwartet von ihrem Gott?

Nur wie ein Wunder kann es geschehen, daß noch einer, wie Leonore in den Kerker ihres Gatten, den Weg in das Verlies einer solchen Seele findet und ihr, so daß sie es zu hören vermag, zu sagen imstande ist: „Es gibt eine Vorsehung!“

Die aber wissen um solche Not einer Seele oder ihr Grauen ahnen können, die mögen, wenn ihre Liebe sich stark und zart weiß wie die einer Mutter, die Wege suchen zu diesen Seelen, um sie an der Wärme ihres Herzens aufzutauen, bis sie das rettende Wort wagen dürfen.

Wer aber selbst im Leiden ausgekeltert wird bis zum Letzten, der mag sich sagen, daß es vielleicht ist, weil er zu solcher Tat der Liebe berufen wird.

Aus „In der Kelter Gottes“, Tyrolia-Verlag, Innsbruck

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