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DREI BRIEFE ÜBER KUNST UND KÜNSTLERTUM

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An Ludwig Curtius

München, Montag, 10. Mai (1904)

Daß es für mich damals zu früh war, in Griechenland, glaub’ ich gerne und geh’ ich ganz zu, ich bin auch froh, daß ich jetzt noch nicht wieder dort bin und verehre das Griechentum hier für mich in meiner Kammer, und es kann auch da die schönsten Früchte haben. Dieses griechische Problem, oder wie man’s nennt, ist doch ein gar merkwürdiges Ding; es entsteht eigentlich erst für uns, indem wir uns thätig auf uns selbst und unser eigenes Vermögen zurückwenden Ich habe in der letzten Zeit allerlei Sachen von Nietzsche gelesen, den Zarathustra, die Genealogie der Moral usw.; zuerst war’s mir gewaltig anregend, es bringt vollständig in Motion, aber schon zum zweitenmal zu lesen, war ich nicht imstande bei den immerwährenden Wiederholungen und der blinden Vehemenz, mit der es geschrieben ist, und jetzt ist’s mir völlig unerträglich. Ich bin auch dabei mir ganz sicher, obwohl ich erst neulich mit dem Riezler sprach, der mir sagte, das wäre doch eigentlich der einzige wahrhaft moderne Schriftsteller. Aber der Riezler läßt sich besonders von Büchern leicht vor den Kopf schlagen, so wie’s mir vorkommt, und das moderne Werk, das die Nerven erregt und dabei nicht schlecht ist, gibt’s eben nicht. Man vermag nie etwas wahr und voll zu genießen, ohne etwas Haltung und Entsagung, ohne eine Art produktives Wiederempfinden. Wer seinen Leser überraschen und dann totschlagen will, verzichtet dann auf eine wahrhaftige Wirkung. Ich war dies Frühjahr ziemlich fleißig, heb’ ein paar Sachen gemacht, an denen Sie hoffentlich auch Freude haben sollen. Ein Tedeum im kirchlichen Stil, außerdem eine Sinfonie, wo nur der Mittelsatz fertig ist, bis jetzt, am Anfangssatz bin ich gerade. Ihr geliebtes Adagietto, wenn Sie sich daran erinnern, hab’ ich jetzt, als ein gemeiner Dieb, wieder genommen und eingeschmolzen, und nun hat es seinen Platz im Tedeum beim Misere, mit großem Chor, und thut eine gute Wirkung. Aber nicht das ganze, nur der zweite Teil davon

Nun mach’ ich Schluß; beim Durchlesen kommt mir der Brief sehr kalt vor, und nicht das, was ich Ihnen schreiben wollte, aber vielleicht lesen Sie auch etwas zwischen den Zeilen, und sehen, mit wieviel Liebe und Verehrung an Sie denkt

Ihr Dette

An Ludung Curtius

Kopenhagen, 29. Jänner 1942

Die allgemein historischen Deduktionen, die Entwicklung und langsame Loslösung des Individuums im Laufe der letzten Jahrhunderte, wie Du sie beschreibst, sind mir bekannt, und ich teile Deine Anschauungen. Einen „Titanismus“ des 19. Jahrhunderts indessen kenne ich nicht. Der wirkliche „Titanismus“ begann mit dem Zorn des Achilleus bei Homer,, die Griechen waren Hauptträger des av imiideliqgen- den tragischen Lebensgefühls, das bis auf unsere Tage heraus (in der Dichtung zuletzt bei dem Dir nicht genug bekannten Weinheber) lebendig ist. Es hat mit dem freischwebenden,

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