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Geburtstag

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Ein in diesen Wochen erschienener Bildband zeigt eine eindrucksvolle Photographie. Ein kleiner Knabe im weißen Anzug mit einer schwarzen Trauerschärpe um den Leib an der Hand einer tiefverschleierten Frau, seiner Mutter. Daneben der in schwerer Stunde zu einer schier unlösbaren Aufgabe berufene Vater. Man schreibt den November 1916. Kaiser Franz Joseph wird zur letzten Ruhe geleitet. Mit ihm — wie wir heute wissen — der Vielvölkerstaat der Habsburger. Der Knabe, der wenige Tage nach seinem vierten Geburtstag seinem toten Großonkel auf dessen letzten Weg folgt, ist Erzherzog Otto von Österreich.

Tiefe Tragik umschattete seine jungen Jahre, Tragik umgibt ihn bis auf den heutigen Tag, da er im reifen Mannesalter am 20. November dieses Jahres seinen 50. Geburtstag feiert. In die Kinderstube dringt die Nachricht vom Zusammenbruch, vom Sturz des Thrones seiner Väter. Zurückgezogenheit, Verbannung, Exil. Er hört vom harten Nein, das der Admiral Horthy höflich, aber bestimmt, seinem Vater entgegensetzt, als dieser auf den ungarischen Thron zurückzukehren wünscht. Er wird selbst noch in seinem Leben oft genug dieses Nein zu hören bekommen. Mit vollendeter Höflichkeit von Bundeskanzler Doktor Kurt Schuschnigg: damals, als Otto von Habsburg diesem sowohl dem monarchistischen Gedanken ab auch dem Hause Habsburg verpflichteten ehemaligen kaiserlichen Offizier den Vorschlag machte, ihm die Geschäfte des Staates in entscheidender Stunde zu übergeben. — Er hörte dieses Nein weniger höflich auch wieder in unserer Gegenwart von einzelnen Repräsentanten der zweiten österreichischen Regierungspartei, als die Frage seiner Heimkehr nach vorgelegter Verzichtserklärung zur Debatte gestellt wurde.

Der älteste Sohn des Kaisers von Österreich begeht in diesen Tagen in seinem bescheidenen Heim in Pöcking, das für ihn zur Werkstatt seines literarischen Schaffens geworden ist, seinen 50. Geburtstag. Man möchte ihm zu diesem Festtag nur wünschen, daß die düsteren Schatten, die seine Jugend und seine Mannesjahre so lange begleitet haben, endlich weichen: daß eine Kette der Irrungen und Wirrungen, an der unzeitgemäße Ressentiments, aber auch so manche Schmeichelredner nicht unschuldig sind, ein Ende finden und dem Hause Habsburg in einem seiner vornehmsten Repräsentanten historische Gerechtigkeit zuteil werde auf dem Boden der Republik Österreich von 1962, zu der wir uns alle zusammengefunden haben, ob wir von rechts kommen oder von links aufgebrochen sind.

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