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Würde in der Burg, Brillanz in der Josefstadt

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Im Burgtheater erlebte Thornton Wilders „Alkestiade" ihre österreichische, im Theater in der Josefstadt „Ein Tag am Meer“ von N. C. Hunter die deutschsprachige Erstaufführung. Bei allem Unterschied in Hinblick auf Stoff, Gestaltung und Bedeutung der Stücke war beiden Aufführungen eines gemeinsam: es dominierte die Inszenierung. Im Burgtheater begrub sie eine äußerst reizvolle und besonders unkonventionelle Dichtung unserer Tage unter zentnerschwerer Last standardisierter, zerebraler, schwerfälliger Würde, in der Josefstadt gewann ein liebenswürdiges, aber auch langatmiges und stellenweise reichlich banales Gesellschaftsstück durch eine außerordentliche Inszenierung atmosphärischer Gestaltung durch ein köstliches Ensemble. Mit diesen zwei Exempeln zeigte das Wienerische Theater wieder einmal deutlich den Januskopf seiner Tradition.

Im kleineren, im privaten Rahmen, im Kammerspiel der intimen Wiener Schauspielkunst sozusagen, ist man bei munterem Spiel der nonchalanten Ueber- legen'heit zugewandt; man agiert brillantes, nobles

Art-pour-art-Theater — doch was gespielt wird, ist so ziemlich nebensächlich. Im großen, offiziellen Raum hingegen herrscht die reine (und allzuoft ein wenig leere) Repräsentation. Hier gelten in erster Linie Prunk und Schönheit, auf Biegen und Brechen, unerschütterlich und ohne Rücksicht auf Zeit und den Geist der Zeit. Der Dichter unserer Gegenwart spielt (sofern er nicht, wie Claudel und Priestley der „modernen" Maschinerie des Hauses schmeichelt) die zweite Geige. Der Stil ist alles und es herrscht der Ton, den die Alten sungen.

Nun, der Ton von Thornton Wilder kommt von woanders her und geht in seine eigene Richtung. Mit einem altehrwürdigen Epos über des antiken Blutes und der Rache Wellen oder über Götterzwist im Hause Olymp hat seine „Alkestiade" nur die Oertlichkeit und die Kostümierung gemeinsam. Der antike Loden des alten Hellas ist Schauplatz eines scharfsinnigen, fast komödienhaften Spieles mit klassischen Figuren, mit Situationen höchsten Reizes, mit einer Fülle sprühender Ideen und abenteuerlicher Zusammenhänge und — last, not least — mit einem amüsanten, hintergründig ernsten Epilog, den man in der Burgtheaterinszenierung ganz einfach unterschlug, weil er in Ernst Lothars Spiel von der Königin Alkestis schöngeistigem Glück und pathetisch Gold'nem, tränenreichem Ende nicht hineinpaßte. — Den ersten Teil der an urzeitliche Mythen anknüpfenden Handlung hat Thornton Wilder bei Euripides entlehnt, das ist wahr: Wir sehen die Sage von Alkestis, die ihren Gatten, König Admet, mehr als ihr eigenes Leben liebte und die sodann auch wirklich statt seiner in den Hades ging, von wo sie Herakles befreite. Die Gestaltung aber ist ein Kunstgeflecht aus Witz und Poesie, aus gläubigem Ernst und aus klug gesetzter Problematik. Und was dieser so eminent heutigen Dichtung ihr ideologisches Fundament gibt: Wilder hat seiner Alkestis mehr zu bieten als die Antike — er gewährt ihr nicht nur ein paar Jahre Leben, er gewährt ihr die Unsterblichkeit. (Die Hauptrollenträger: auf dem Bild unserer Theaterseite.)

Ganz anders, liebenswert in seiner Art, indes von nahezu rührender Naivität ist N. C. Hunters „E i n Tag am Meer“ (ausgezeichnet inszeniert von Heinrich Schnitzler). Hier herrscht die wohltemperierte Melancholie, hier unternimmt eine welt fremde, der Ermüdung anheimgefallene Gesellschaft eines langen Tages Reise in die Resignation, hier lagert breit und steil eine nach allen Himmelsrichtungen seelischer Pole ausgedehnte Tschechowsche Schwermut, Old Englands gedämpfte Atmosphäre und ein Schuß vereinfachender Psychologie. Wir sehen in Pastell gemalte Charaktere, eine Familie ganz privat in einem Landhaus, fern vom Weltgetriebe: da ist eine fürsorgliche Nervosität verbreitende Mutter, da ist ihr ebenso ehrgeiziger wie erfolgloser Sohn, da ist ein Greis, dem die Resignation physisches Bedürfnis ist; zu Besuch ist eine an zwei Ehen und auch sonst am Leben enttäuschte, noch recht jugendliche Frau und ein vergeblich nach Liebe sich sehnendes Kinderfräulein und schließlich ein dem Trunk ergebener. sophistischer Hausarzt und ein resignierter Staatsbeamter. Und da sind ihre Nöte und Probleme, von denen sie uns in minutiöser Kleinarbeit erzählen, Wort für Wort. Zum Schluß gibt es einige unter ihnen, denen die Gartenarbeit Trost bringt. (Es spielen bewunderungswürdig: Helene Thimig, Anton Edt- hofer, Jochen Brockmann, Vilma Degischer, Erik Frėy, Guido Wieland, Hans Ziegler und Ursula Schult).

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