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Zagreb ohne Jelacic

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TRG HEISST AUF KROATISCH PLATZ, und der größte Platz Zagrebs ist der Trg Repub'lize, doch die Einheimischen nennen ihn ganz ungeniert noch immer'Jelacicev Trg, auch wenn ein blaugrauer Polizist in Hörweite ist. Der bronzene Banus des achtundvierziger Jahres freilich verschwand samt Kaipak, Krummsäbel, Pferd und Sockel von seinem Platz, volksrepublikanischer Asphalt überdeckte die Spuren des alten Schwarzgelben. Ein paar Schritte weiter kann man im Kiosk fast alle großen Zeitungen und Illustrierten des Westens kaufen. Besser als der Seressaner-General Jelaöic bestand Tomislaw, der legendäre erste Fürst der Kroaten, vor der neuen Geschichtsauffassung. Sein erzenes Standbild beim unverkennbar österreichisch-ärarischen Zagreber Bahnhof blieb unangetastet, als Namensgeber des Platzes rundum durfte er sogar seinen Königstitel behalten.

An der Ecke der Ilica, der Hauptgeschäftsstraße der Stadt, wurde unter Tito, als neuer, markanter Akaent der Silhouette, ein Hochhaus erbaut Dem Architekten gelang es, seine Intentionen durchzusetzen, er plante nämlich eine Kapelle in den Gesamtkomplex ein, dabei herrschte damals noch nicht „Tauwetter“, sondern strenger Frost. Nach Büroschluß, beim Abendgottesdienst, ist diese Kapeile zwischen volkseigenen Läden so voll, daß man sich nur schwer durch die Tür zwängen kann.

„In Kroatien gibt es zwei Kräfte, mit denen der Staat einfach einen Modus vivendi finden mußte“, kommentiert ein Kenner der Situation. „Die Bauern, deren entschlossener Widerstand die landwirtschaftliche Kollektivierung vereitelte, und die katholische Kirche.“

BRENNPUNKT DES KROATISCHEN KATHOLIZISMUS aber ist der Zagreber Dom, nüchterne doppeltürmige Neogotik. Seit Kardinal Stepinac dort begraben liegt, wurde das hohe düstere Kirchenschiff zu einer Wallfahrtsstätte. Nichts als ein schräges schwarzes Pult mit der Totenmaske bezeichnet die Stelle vor dem Altar. Auf dem Boden, frische Blumen und viele kleine Inschrifttafeln. „Du hast geholfen, Kardinal, ich danke dir“, steht darauf; und „Kardinal, bitte für uns“. Die Menschen hier beten zu ihrem toten Erzbischof wie zu einem Schutzpatron ihres Landes. „Wir glauben und hoffen, daß er heiliggesprochen wird“, sagen sie zuversichtlich.

VOM, DOM. FÜHREN DIE Straßen auf den Balkan und nach Österreich. Balkan, das ist der große Markt, wo die Händler — private Geschäftsleute (!) — alles feilbieten, was der Fremde gern aus Jugoslawien mitnimmt: schöne, bunte Kelimteppiche, Volkskunst, bequeme Opanken, Zigarettenspitzen, in türkischer Art.

Die alte deutsche Formel aus den Zeiten der Monarchie, „Ist gefällig, bitte“, kennt heute noch jeder, der einen Verkaufsstand auf dem Zagreber Markt hat. Österreich, das ist ihrer ganzen Atmosphäre nach die Oberstadt mit ihren barocken und biedermeierlichen Palais und Bürgerhäusern. Unverändert flankieren die beiden Schilderhäuschen aus Jelacic' Ära das Portal seines Amtssitzes, wo heute die Regierung der Volksrepublik Kroatien offizielle Gäste empfängt. österreichische Reminiszenzen werden auch auf dem Mirogoj-Friedhof an der Gruft des k. u. k. Generalmajors und großen Lyrikers Peter von Preradovic wach, dem ein marmornes Uskoken-mädchen Rosen auf die Tumba legt. Ein Grabstein daneben zeigt das Bild eines bärtigen Mannes: es ist Stjepan Radic, der Bauernführer, der 1928 im Belgrader Parlament unter den Schüssen eines fanatischen Gegners fiel.

DER POLYGLOTTE ZAGREBER kann ganz nach Wahl private Kulturbeziehungen pflegen, im Zentrum gibt es einen amerikanischen und einen französischen Leseraum, eine Bibliothek des British Council und die österreichische Lesehalle samt Leihbücherei und Schallplattensammlung.

Seit zwölf Jahren leitet DDr. Hans Georg Marek, Honorardozent der Wiener Universität und begeisterter Wildgans-Protagonist, dieses rot-weißrote Kulturinstitut, das noch nicht als solches deklariert wurde. „Fast alle bedeutenden österreichischen Autoren und Künstler waren schon bei uns zu Gast“, erklärt der erfahrene Sprecherzieher und Theatermann, der mit deutsch-sprechenden Kroaten Leseaufführungen von Werken seines Lieblingsdichters veranstaltet. Um den Dialog im weitesten Sinn, den geistigen Austausch, ist er unermüdlich bemüht, sei es mit Vorträgen, Diskussionen oder Ausstellungen.

Abends wirken die Altstadtstraßen noch vertrauter, man könnte sich nach Graz versetzt glauben oder in eine der Gassen, die von der Gumpendorferstraße zur Wienzeile hinunterführen. Ein Fenster wird geöffnet... Unwillkürlich horcht man auf. Da spricht doch, wie um die Illusion vollkommen zu machen, eine heimatliche Stimme. Nein, es ist keine Täuschung: Wien, vielmehr Österreich, bestreitet hier den Fernsehabend der Familie ...

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