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Zu Besuch beim geliebten Dichter

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Schon wollte ich den Sommer verloren geben, als mich der geliebte Dichter zum Lunch einlud. Nichts an seinen Worten und in seinem Verhalten erinnerte mich an die Sätze, die ich von ihm und über ihn jemals gelesen hatte. Der bewunderte Dichter und mein Gastgeber waren, so schien es, zwei verschiedene Wesen, und ich dankte es dem mir gegenüber Sitzenden, daß er beide auseinander hielt und nur in seinem Namen vereinte. Von dieser Erfahrung des Zweifach-Einen zum Begreifen letzter Dinge war es dann vielleicht nur noch ein Schritt.

Ich genoß das unerwartete Glück, den Julitag, den schattigen Garten, unser lockeres und dennoch nicht leichtes Gespräch, und natürlich das gute Essen. Der bewunderte Dichter, der es zu Buhm und Wohlstand gebracht hatte, wußte zu leben und kehrte in den ersten Häusern ein. Er bestellte mit der Geläufigkeit eines Generaldirektors. Sollte es künftig nicht heißen, Generaldirektoren besaßen die Frechheit, wie Dichter zu speisen? Das Maß der Welt sollte am einzelnen, nicht an einer Menge -gerade die sogenannten Chefs bildeten eine solche - genommen werden. Der Dichter trank viel Wein und später auch Stärkeres, in seinen Zügen aber leuchtete unverändert die Nüchternheit.

Ich verstand nun auch, daß ich in der Kunst und in der Schönheit immer nur die Nüchternheit suchte, niemals den Bausch. Heilig war mir die Nüchternheit freilich nicht, denn das Heilige empfand ich als Widerspruch zur Klarheit. Der geliebte Dichter, der mich an seinen Mittagstisch geladen hatte, verglich das Buch mit einem Pfeil, der, mit bedachter Umsicht abgeschossen, das Ziel treffen müßte. Der Dichter solle mit fester Stimme und festem Schritt auftreten, er dürfe sich nicht aufspielen, aber auftreteii und den Mund öffnen müsse er, sagte der Dichter, als wollte er mir Mut zusprechen. Ich fühlte mich beim Arzt und Freund zugleich, obwohl wir einander zuvor noch nie begegnet waren.

Für seine Vorwürfe gegen meinen Lebenswandel, mit denen er nicht geizte, war ich dem Dichter dankbar. Er kannte mich besser als ich mich selber, was mich nicht verwunderte. Seine Sätze, die er ohne den rechten Zusammenhang, aber stets im passenden Augenblick über den Tisch durch das Sonnenlicht zu mir herüberschickte, stimmten mich froh und stärkten mich. Im Fortgehen wußte ich, daß ich diese Begegnung seit Jahren erwartet und gebraucht hatte, und daß sie mir zur letztmöglichen, rettenden Stunde widerfahren war. Ich schlenderte dann - und war bislang nur das Hetzen gewohnt - durch den dicht bewachsenen Park, unter den Zehntausenden der Stadt gab es einen Geretteten.

Diese Festlichkeit konnte nicht anhalten, denn als ich am nächsten Tag mit dem schweren Koffer zum Flughafen fuhr, wurde die Abreise doch wieder ein Hetzen, und ich zürnte dem Taxifahrer anstatt mir selber, wenn doch ich ihn zu spät gerufen hatte. Fast hätte ich die Maschine versäumt. Es hielt mich zu vieles in der Stadt, nicht zuletzt die schöne Begegnung, die ich für das Wunder hielt. Beim Abschied hatte mir der geliebte Dichter sogar für einen Augenblick Haare und Wange gestreichelt, mir, als wäre ich ein Kind oder als sollte es ein Abschied für immer sein. Jene Sanftheit, die mich weinen machte, war mir aber nicht erst gestern widerfahren. War sie nicht seit jeher schon Teil meiner Lesestunden - gerade der Bücher des geliebten Dichters - gewesen, und hatte ich sie nicht bloß vergessen über Kofferpacken, hast und fast versäumte Abreisen? Wollte mein Dichter, dem ich Allwissenheit gern zugestand, mich vielleicht nur an Verschüttetes erinnern? So war es wohl, und ich mußte herausfinden, ob ich Brachland war oder ein bestellbares Feld?

Die Flugbegleiterin servierte dann dem, der ohne Antwort war, sein Frühstück auf Plastikschalen. Die Flüsse und Städte, die ich tief unten erkennen konnte, wußte ich zu benennen, nur mich selber kannte ich nicht. Wir landeten pünktlich. Alle Flughäfen waren mir längst zu ei-' nem einzigen geworden, und allen gemeinsam war das Licht. Nirgendwo sonst hatten sich Sonnenuntergänge, Wolken und Schneestürme tiefer meinem Empfinden eingegraben als durch die getönten Glasscheiben der Abflug- und Ankunftshallen.

Ich trat ins Freie und stellte mich dem frischen Wind, der vom Meer herüberwehte. Noch Sekunden vor der Landung war die Maschine über Wasser geflogen, dessen Küstenlinie bei aller Armut als freche Begrenzung schien. Schlanke 'Palmen umstanden die Gebäude, ohne Verkrümmung in den Abendhimmel gerichtet. Ich hätte den Anblick gern mit einem Menschen geteilt, aber mit wem? Auch mit meinem Dichter konnte ich nichts teilen, denn der verschenkte ja seine Bilder an uns und forderte keine Gegengabe. Der niedere Stand der Sonne erschreckte mich. Ich wollte nicht immer der Beschenkte sein, aber zum Geben war ich noch nicht vorgedrungen. Es zu lernen, das war der nächste Schritt.

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