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Aus gegebenem Anlaß ...

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In einem Konzert des Zyklus „Musica viva" hörten wir nach längerer Pause wieder einmal ein Werk des einundsiebzigjährigen, in Wien lebenden Komponisten Josef Matthias Hauer, und zwar ein Zwölftonspiel für Oktett. Ein großes Lebenswerk harrt in der Vaterstadt dieses bedeutenden und eigenartigen Musikers immer noch der Entdeckung, und wir benützen den Anlaß, mit Nachdruck hierauf hinzuweisen. Im gleichen Konzert sang eine unserer besten Interpretinnen neuer Musik, die gleichfalls auswärts mehr geschätzte und öfter zum Zuge kommende Ilona Stein- g r u b e r, „Le Bestiaire ou le Cortege d’Orphee" von Francis Poulenc, sechs reizvolle Miniaturen nach Gedichten von Guillaume Apollinaire mit Begleitung von sieben Soloinstrumenten.

Mit dem Kammerorchester der Wiener Konzerthausgesellschaft musizierte Enrico M a i n a r d i, der in der letzten Zeit gern den Cellobogen mit dem Dirigentenstab vertauscht. Seine Programme und seine Persönlichkeit als Dirigent beginnen Profil zu bekommen. Mainardis Lieblingskomponist unter den klassischen Meistern scheint Haydn zu sein, für dessen Interpretation der große Cellist durch intime Kenntnis und sorgsamste Betreuung der Streicher besonders geeignet erscheint. Mehr Sorgfalt wünschte man freilich auch dem Textautor des Programmes, der in Ravels bezaubernder, geistvoll-naiver Märchensuite „Ma Mere l’Oye" den Untertitel „Pavane de la belle au bois dormant" grob und falsch mit „Feierlicher Tanz der Bestie im Zauberwald" übersetzte. „Entretiens de la belle et de la bete" meint natürlich das Gespräch zwischen der Schönen und dem Tier und nicht etwa Gespräche „v o n der Schönen” und der ominösen „Bestie".

William Strickland machte uns in seinem zweiten Orchesterkonzert wieder mit einigen teils wenig bekannten, teils in Wien überhaupt noch nicht aufgeführten amerikanischen Komponisten bekannt, darunter zwei Frauen Mary Höwe und Julia Perry. Als stärkstes Stück erwies sich der Essay Nr. 2 für Orchester von Samuel Barber, wogegen das von Virginia Pleasants gespielte Klavierkonzert von William Schumann nicht recht überzeugen konnte. Leider bietet uns dieses Konzert nicht den längst erwünschten Anlaß, auf die Eigenart und die eigenschöpferische Kraft der neuen amerikanischen Musik hinzuweisen, wogegen die Fähigkeiten des Dirigenten und seine Bemühungen um die lebenden Komponisten seines Heimatlandes gern anerkannt seien.

Der in der Schweiz lebende 74jährige deutsche Dirigent Karl Sc hu richt hat sich in früheren Jahren vor allem als Vorkämpfer und vorbildlicher Interpret neuer Musik einen guten Namen gemacht. Mit der Wiener Singakademie, den Symphonikern und den Solisten Rita Streich und Hans Braun schenkte er uns eine der schönsten Aufführungen des „Deutschen Requiems" von Brahms, die während der letzten Jahre in Wien zu. hören war. Seine natürliche, unpathetische und vergeistigte Art ist gerade diesem Werk besonders angemessen. Dem Brahms-Requiem hatte Schuricht — als Reminiszenz an sein Eintreten zugunsten lebender Komponisten — Hindemiths Symphonie „M athis der Maler" vorangestellt. Glücklicherweise ohne jene barbarische Kürzung, an die wir uns bei diesem Anlaß erinnerten. Das vorletzte Mal nämlich, als das bereits klassische und wohlbekannte Werk in Wien aufgeführt wurde unter dem Dirigenten Heinrich Krips in einem öffentlichen Samstag-Nachmittag-Konzert des Senders Rot-Weiß-Rot, hatte man im letzten Satz — „Die Versuchung des heiligen Antonius" — etwa 40 Takte gestrichen: um etwa zwei Minuten einzusparen, damit die folgende Sendung unter dem Titel „Leicht Wienerisch" mit dem Marsch „Flotte Burschen" ja auf die Sekunde genau beginnen konnte. In der Tat: flotte Burschen und flotte Damen scheinen dort am Werk, die man, da sie jedesmal als „für, die Sendung verantwortlich" genannt werden, auch wirklich einmal aus gegebenem Anlaß zur Verantwortung ziehen sollte.

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