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Bach in der österreichischen Landschaft

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Es war ein überaus glücklicher Gedanke, das internationale Bach-Fest und seine Internationalen Besucher in die österreichische Landschaft und ihr musikalisches Hochland hinauszuführen, es gleichsam darein zu betten: lebendige Umrahmung zum Bildnis des lebendigsten aller Komponisten und doch ungleich mehr: Aufleuchten sonst nicht immer bewußter Zusammenhänge einer musikalischen Entwicklung des abendländisch christlichen Geistes, der im feierlichen Gottesdienst seinen erhabensten Ausdruck findet und dem die Gipfelwerke Bachscher Kunst ebenso wie jene der österreichischen Meister dienen. Der feierliche Gottesdienst, das Pontifikalamt, stand daher mit Recht im Mittelpunkt dieses geistigen Erlebnisses, zuerst in der Karlskirche durch Mozarts Krönungsmesse musikalisch gestaltet (Philharmoniker - Staatsopernchor -Karajän). Die solenne Wiedergabe war eine Meisterleistüng der Ausführenden, voran Irmgard Seefrieds, durch ihren ebenso kirchlich empfundenen als gesanglich vollendeten Ausdruck des Agnus Del, das „im Figaro stehen könnte' und dessen unsicheren liturgischen Wert die Interpretation über allen Zweifel erhob. Andere Stellen allerdings wurden durch unmozartisch ras'he Tempi der sakralen Würde allzuweit entrückt, die in den von Klerikern vorbildlich gesungenen gregorianischen Weisen unwandelbar gegeben ist.

Die Aufführung der vielumstrittenen Lukas-Passion . in der evangelischen Basilika hat die Zweifel an Bachs Autorschaft verstärkt und vermehrt, da sich die' gefühlsmäßigen Bedenken noch entschiedener als die verstandesmäßigen einstellten. Die Möglichkeit sdieint hingegen nicht ausgeschlossen, daß der Meister hier eine Passionsmusik ah (primitive) Gründform, von der er bei seinen Monumentalwerken ausging, eigenhändiger Abschrift würdigte. In die Wiedergabe teilten sich unter der Gesamtleitung Ferdinand Großmanns Symphoniker, Akademiekairmerchor und Wiener Kantorei (Gillesberger) sowie eine Reihe' erlesener Solisten, von denen Elisabeth Höngen, Julius Patzak und Hans Braun überragten.

In dem zu J. S. Bachs Lebzeiten vollendeten edlen Barockbau des Benediktinerstiftes Melk an der Donau erklang, abermals musikalischer Ausdruck eines Pontifikalamtes, Schuberts Es-dur-Messe (Hofmusikkapelle unter Krips), die trotz aller romantisch-subjektiven Züge entscheidend von der Seele des Barocks erfüllt ist, die Bach ebenso wie noch Bruckner befruchtet hat. Schuberts Messe, Bruckner in manchem vorausahnend, belebte den Geist der steinen Formen mit dem Herzschlag des Menschen zwischen Tragik und Hoffnung. Die Aufführung, eine der schönsten, die dieses Werk erlebt haben mag, war gleichsam vom Flügelschlag dieser Spannungen inspiriert und wäre vollkommen gewesen, hätte man der ausgezeichneten Knabenschola nicht Teile des Proprium entzogen und durch tagesfremde Gesinge ersetzt. Das K a m m e rk o n z e r t im Marmorsaal des Stiftes vereinte vollends- die tönenden Bogen Bachs und Schuberts mit den architektonischen des Raumes zu weltweitem Gleichnis. Das strenge Profil der Suite für Violoncellosolo von Bach erfüllte Enrico Mainardl bis zum Rande mit der ihr und ihm eigenen Spannkraft, und das unbeschwert „Forellenquintett Schuberts, vielleicht sein sonnigstes Werk (Konzerthausquartett mit Friedrich Wührer) verspielte alle Schwerkraft in die milde Welligkeit des Donaulandes.

Enrico Mainardi wußte in einer Matinee aus dreien der sechs Suiten Bachs für Violoncellosolo ein überdimensionales Programm mit hochexpressiver Spannung zu gestalten, Die Vergeistigung seines Musizierens, daraus jede Spur eines technischen Vorganges entschwunden scheint und nur mehr eine einsame Seele ihr weltfernes und doch weltweites Lied singt, Ist in der Beseelung Bachscher Figurationen von unerhört suggestiver Kraft. Seine persönliche Unbetontheit vor allem bringt uns den Künstler auch persönlich nahe. ,

Das Orgelkonzert M a r c e 1 D u p res überraschte nicht in sensationellem Sinne, hingegen durch die unerwartet große Divergenz seines Bach-Spiels zu unserer Auffassung, deren Ernst und fast dogmatische Gültigkeit weder zur Rasanz der Tempi und den damit notgedrungen auftretenden rhythmischen und anderen Uberbauungen, noch zur virtuosen Glätte des Vortrags und Untiefe des Ausdrucks Beziehungen findet. Das gilt besonders für die großen Präludien und Fugen a-moll und T-moll, während in den „Drei Chorälen“ und der liebenswürdigen Triosonate C-dur bei intensiverem Hineinleben |n die rom-nisch bedingte Art des Künstlers eine gewisse Sub-tilität im Ausdruck und ein herzlicher Ton nicht zu überhören sind. Die Bemühungen des Publikums, sich in die fremde Art zu finden und sie zu erfassen, waren überzeugend, und so.warf auch dieser Abend die weitgespannte und Gegensätze überbrückende Dynamik df abendländischen Seele wie in einem Spieru.1 zurück.

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