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Erstaufführungen

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In dem gemeinsam von der Musikalischen Jugend und dem ORF veranstalteten Chor-Orchesterkonzert unter der Leitung von Milan Horvat im Großen Musikvereinssaal gab es gleich zwei Erstaufführungen für Wien. Nach Worten aus den Reden Gautama Buddhas schrieb der Südkoreaner Isang Yun (geb. 1917) einen Zyklus für zwei Solostimmen, Chor und Orchester, den er „Om mani padme hum“ nennt und der bereits 1965 in Hannover uraufgeführt wurde. In seiner Musik ist fernöstliche Substanz in das Gewand serieller Technik und raffinierter Klangfarbenkombinationen gekleidet. Trotz großer Kompliziertheit hat das Werk Atmosphäre und eine gewissen einheitliche Stimmung, ohne freilich die vertonten Worte zu verdeutlichen oder ihren Sinn zu vertiefen. An den Chor und an die Solisten werden höchste Anforderungen gestellt, denen alle Ausführenden bestens entsprachen. — Edda Mosers schöner Sopran zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß er auch in der höchsten Höhe keine Spur von Schärfe aufweist. Der in Wien gleichfalls unbekannte Wolfgang Anheisser war ihr ausgezeichneter

Partner. Viel Beifall für den anwesenden Komponisten, der auch bei einigen Proben dabei war. Roman Haubenstock-Ramati hat aus der Partitur seiner 1965 in Berlin uraufgeführten Oper „Amerika“ vier Orchesterstücke herausgelöst, bearbeitet und zu einer Symphonie „K“ zusammengestellt. In einer sehr komplexen und komplizierten Tonsprache, die durch Uberlagerung verschiedener harmonischer Schichten sowie durch die häufige (vielleicht allzu häufige) Verwendung des Glissandos charakterisiert ist, drückt der Komponist die gleichen Gefühle aus wie in seiner Kafka-Oper: Angst, Unsicherheit, Isoliertheit und Zerrissenheit des modernen Menschen.

„Diese Geschichte sagt nichts, was von Wert wäre.“ Das war die erste Reaktion Debussys auf das Mysterienspiel „Le martyre de Saint Sebastien“, das ihm der Autor, Gabriele d'Annunzio, zugesandt hatte. „Der Hof der Lilien“, „Die magische Kammer“, „Das Konzil der falschen Götter“, „Der verwundete Lorbeer“ — das sind einige Szenentitel, die aber noch kaum eine Vorstellung von d'Annunzios phantastisch-überladenem, erotisch-parfü-miertem Gesamtkunstwerk geben können. Dazu müßte man den krausen Inhalt nacherzählen ... Jedenfalls revidierte Debussy sehr bald sein Urteil, denn innerhalb von vier Monaten des Jahres 1911 hatte er eine Riesenpartitur (Klavierauszug: 104 Seiten) mit 18 Musiknummern beendet, die noch im gleichen Jahr uraufgeführt wurde. „Ich hätte Monate der Sammlung nötig gehabt“, beklagte sich Debussy später. Zum Glück ist von den Untugenden und Hypertrophien d'Annunzios fast nichts in die Musik eingegangen. Da das merkwürdige Werk, für das sich Ida Rubinstem und Diaghilew mit seinen Ballets Russes als erste einsetzten, schon wegen seiner Dimensionen und des Riesenapparates, den es erfordert, kaum mehr auf einer Bühne gezeigt wird, müssen wir uns mit der konzertanten Fassung begnügen. Innerhalb von 50 Minuten gibt es einige sehr schöne Stücke. Die Fanfaren vor dem „Konzil der falschen Götter“ sind ja ein Stück französischen Nationalbesitzes. — Am erstaunlichsten scheinen uns die wohlgesetzten A-capella-Chöre, in denen sich auf merkwürdige Weise das Erlebnis der Gregorianik in Solesmes (das Debussy besucht hatte) mit dem Stil des „Boris Go-dunow“ (dessen Partitur er genau kannte) verbindet. Unter der sicheren und temperamentvollen Leitung von Milan Horvat sangen und musizierten Chor und Orchester des österreichischen Rundfunks sowie die Solistinnen Hansmann, Mayr und Yachmi, die durch ihr besonders schönes Timbre auffiel.

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