Das_flüssige_Land - © Foto: © Marcella Ruiz Cruz

„Das flüssige Land“: Eine sprungvolle Uraufführung

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Die Adaption des Romans von Raphaela Edelbauer im Kasino am Schwarzenbergplatz überzeugt durch ihre visuelle Sprache und eine gute Ensembleleistung.

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Die Adaption des Romans von Raphaela Edelbauer im Kasino am Schwarzenbergplatz überzeugt durch ihre visuelle Sprache und eine gute Ensembleleistung.

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Verzerrte Klänge von „Radetzkymarsch“ und „Donauwalzer“ empfangen die Premierenbesucher im Theatersaal des Kasinos am Schwarzenbergplatz schon vor Beginn des Stücks. Keine schlechte Einstimmung auf die Theateradaption des grandiosen Antiheimatromans „Das flüssige Land“ von Raphaela Edelbauer. Die Wiener Autorin zerlegte in ihrem 2019 erschienenen Debütroman die Scheinwelt österreichischer Beschaulichkeit mit feiner Klinge.

Die kafkaeske Spurensuche nach der nur allzu gern vergessenen österreichischen Vergangenheit im Nationalsozialismus wurde als „avanciert“, „nonchalant“ und in „unerforschte Gebiete der Literatur vorstoßend“ beschrieben. Die überwiegend enthusiastischen Buchbesprechungen waren von zahlreichen Auszeichnungen wie dem Publikumspreis beim Bachmann-Wettbewerb oder der Nominierung auf die Shortlist für den Österreichischen und den Deutschen Buchpreis begleitet. Nun hat die Wiener Regisseurin Sara Ostertag (ihre Inszenierung der Felix-Mitterer-Fassung von „Geierwally“ reüssierte 2022 am Landestheater Linz) gemeinsam mit Jeroen Versteele den Text fürs Theater bearbeitet und daraus eine schwungvolle Dramödie gemacht, die sich vor allem der surreal-satirischen Seite des Romans widmet.

Unter den Teppich, ins Loch gekehrt

Die Ausstattung ist karg: Zwei Trampoline, Turnmatten liegen auf dem Boden, im hinteren Teil der Bühne ist Platz für die Livemusik von Paul Plut. Der Frontmann der österreichischen Popband „Viech“ begleitet den Abend mit Mundartliedtexten und bekannten Popsongs. Die Protagonistin des Romans, die Physikerin Ruth Schwarz, lässt Ostertag von drei Schauspielerinnen verkörpern: Suse Lichtenberger, Katharina Pichler und Michèle Rohrbach müssen für diese Uraufführung nicht nur viel Text stemmen, sondern auch ihre Fitness unter Beweis stellen. Abwechselnd sprechen sie über die Erlebnisse in Groß-Einland, der mysteriösen Heimatgemeinde von Ruths verunfallten Eltern. In dem pittoresken Ort, der auf keiner Landkarte zu finden ist, gehen seltsame Dinge vor. Ein riesiges Loch droht das Dorf zu verschlucken, doch die Einwohner scheinen mit dieser Tatsache gut leben zu können. Auch die immer wieder zutage tretenden Menschenknochen aus dem ehemaligen Bergwerk beunruhigen sie nicht weiter. Nur der im Dorf gebraute Coca-Cola-Ersatz und die vom hiesigen Fleischer produzierte ungarische Salami verärgern bisweilen die Bewohner. Immer tiefer taucht die Icherzählerin in dieses Universum aus seltsam-verschrobenen Eigenheiten, in dessen Zentrum die Dorfbesitzerin und Alleinherrscherin Gräfin Knapp-Korb-Weidenheim, gespielt von Rainer Galke (im ausladenden Reifrock und mit spitzen Fingernägeln in knalligem Rot), steht.

Die Erzählungen über Groß-Einland sind von Trampolinsprüngen begleitet und bringen so den erodierenden Boden auf effektvolle Weise zum Ausdruck. Das verlangt den Schauspielerinnen jedoch einiges an Körperkraft ab, da sie den Großteil ihrer Sprechpassagen unentwegt hüpfend absolvieren müssen. Dazwischen tauchen allerlei seltsame Gestalten auf, ebenfalls gespielt von Lichtenberger, Pichler und Rohrbach, wie etwa ein ganz in schwarze Trauerkleider gehüllter Maskenhändler oder der opportunistische Bürgermeister, der mit Holzbrett vorm Kopf agiert. Diese bizarren Auftritte erinnern an den verschrobenen Nachbarn aus der Fernsehserie „Hör mal, wer da hämmert“, geben sie doch ebenso wie dieser nie ihr ganzes Antlitz preis.

Das Loch, das sich immer weiter ausdehnt und das all die unter den Teppich gekehrten Geheimnisse über die Rolle Groß-Einlands und der Adelsfamilie während der Nazizeit in sich verbirgt, findet im Gegensatz zur literarischen Vorlage erst spät im Stück Erwähnung. Es sind vor allem die Lieder von Plut, die immer wieder darauf verweisen: „In am Sumpf. An Dreck. An Gatsch / Und wie mit jedem Nieselregen / Mit jeden Tau im Herbst / Mit jedem Blumengießen / Des Loch größer wird“.

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