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Akademische zwei Viertel

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Und -? fragen Sie, denn daß Vorlesungen an Universitäten mit akademischem Viertel beginnen, ist nichts Neues.

Gut, gut, wenn's nur besagtes Viertel wäre. Das scheint nämlich bei den Hörern einkalkuliert. Anders ist's nicht zu erklären, daß so viele noch später kommen als der Professor es sich je leisten könnte,

wenn er nicht um seinen Lehrstuhl bangen will.

Ein Beispiel aus der Praxis an der Theologischen Fakultät - vermutlich ist es an anderen nicht anders. Das klingt dann so: Türenauf reißen, Türenwerfen, Schritte, Stühlerük-ken, Füßescharren - vom Katheder vernimmt man derweil bruchstückhaft:

„15. Kap. Römer.. .Ich bitteeuch... Christi—steht mir... und betet...“ der Rest geht unter in neuerlichem Türenaufreißen, siehe oben.

Zum Ende werden dann noch ein paar Mappen auf den Boden geknallt, Papier raschelt, nochmaliges Stühlerücken, Füßescharren -der Schreiber des Römerbriefes, der Psalmist, der Evangelist, wer auch immer am Anfang der Vorlesung zu Wort hätte kommen sollen, ist nur in Bruchstücken erhalten.

Das ist umso betrüblicher, als sich der Professor in den überwiegenden Fällen wohl etwas dabei gedacht hat, wenn er gerade diesen Text an den Anfang seiner Vorlesung gestellt hat. Auch die ersten Sätze zum Thema gehen meist noch unter, denn

die „Anfangs-Zuspätkommer“ werden auf dem Fuße gefolgt von denen, die noch später kommen. Das reicht bis zu zwei akademischen Vierteln. i

„Weshalb hören Sie nicht einfach auf zu sprechen, in diesem unanständigen Getöse?“ frage ich den Professor in aller Naivität und werde belehrt: „Weil ich sonst mit dem Stoff nie durchkäme.“

Verblüffend ist immer wieder die schöne Selbstverständlichkeit, mit der die Zuspätkommenden zu spät kommen. Keine Spur von Verlegenheit, Schuldbewußtsein oder Rücksichtnahme auf die Pünktlichen. Die Unverfrorenheit ist so beeindruk-kend wie die Lautstärke, mit der sie sich umständlich etablieren.

Oft sind es ausgerechnet solche Zeitgenossen, die von „Gruppengeist“ und „sozialem Verhalten“ faseln - theoretisch. Die Praxis sieht anders aus.

Was tun? Ich würde zusperren um Punkt volle Uhrzeit plus einer Viertelstunde, so wie in der Oper zugesperrt wird. Wenn's los geht, geht's los.Wer auch nur eine Sekunde zu spät kommt, verpaßt die Ouvertüre oder den ersten Akt oder den Evangelisten, den Psalmisten, den Professor. Recht geschieht ihm. Rücksichtslosigkeit ist selten mit Milde zu kurieren.Es käme auf einen Versuch an. Die Pünktlichen würden ihn dankbar begrüßen. Es wäre Zeit, sich einmal darüber Gedanken zu machen.

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