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Als Wiener in Oberösterreich

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Obwohl es in Oberösterreich mindestens so viele Wiener gibt wie Oberösterreicher in Wien, demonstriert kein Verein ihre Anwesenheit, krönt kein Ball ihr gesellschaftliches Leben. Wiener zu sein in Oberösterreich ist also kein besonderer Status.

Und während der Landeshauptmann von Oberösterreich alljährlich von Goldhauben und Trachtengruppen flankiert in die Bundeshauptstadt zieht, um dort seinen versprengten Landsleuten Trost und Labung der Heimat zu spenden, ja mitunter sogar mit Söldnern aus dem Bauernkrieg den Wiener Zentralisten eine mäßige Gänsehaut über den Rük- ken zu jagen, auf jeden Fall aber mit mächtiger Blasmusik aufspielen und landlerisch aufgeigen läßt, pflegen Gegenbesuche des Wiener Bürgermeisters mit Schrammeln und Heurigensängern in Oberösterreich nicht stattzufinden.

Ein Oberösterreicher in Wien bleibt ein Oberösterreicher. Ein Wiener in Oberösterreich aber bleibt kein Wiener.

Es ist das ein allen historischen Erfahrungen widersprechender Prozeß. Denn bisher hat die Großstadt die Zugereisten vom Land assimiliert. Das Land Oberösterreich aber assimiliert die Großstädter. Wenn das so wahr ist, dann wäre es der Beweis einer vitalen und kulturellen Überlegenheit, die auch das Selbstbewußtsein erklärt, mit dem der oberösterreichische Föderalismus manchmal auftritt: „Wir sind die Stärkeren.“

Welche Chancen hat denn auch der zum Oberösterreicher gewordene Wiener mit einem nasalen „Küß die Hand, gnä’ Frau“ gegen das dröhnende „Hoamatland“ der Einheimischen? Er streicht die Flagge der Hofburg und hißt den Landlerhut - und bald singt auch er mit „Dahoam is dahoam, wannst net furtmuaßt, so bleib!“

Und er bleibt, schlägt Wurzeln in der neuen Erde und fühlt sich wohl. Dieser erste, oft kaum bewußte und begeisterte Vorgang der Oberöster- reicher-Werdung überzieht die ganze Oberfläche des Wieners und kann so tief eindringen, daß er sich bei einem Besuch in der Bundeshauptstadt plötzlich sehr fremd fühlt, daß es ihn beim Betreten des Abfahrtbahnsteigs auf dem Westbahnhof oder bei der Autobahnauffahrt in Richtung Westen freudig überrieselt. Daheim ist daheim. Daheim ist Oberösterreich.

Es folgt nach vielen Jahren erst der zweite Schritt. Er ist schmerzlicher als der erste. Der Oberösterreicher ist ein optimistischer Bqjuwarenstämm- ling, tüchtig und praktisch veranlagt, zum cholerischen Temperament neigend - der Wiener aber kommt aus der Melancholie des Ostens, vielvölkergemischt, im müden Glanz unerfüllter Sehnsüchte gereift, irgendwo inwendig den Doppeladler tragend, aber auch das Elend proletarischer

Vorstädte. Wie soll das ineinander übergehen?

Was Nostalgie im Grunde ist, der Oberösterreicher wird es nie begreifen. Er färbelt Denkmäler und Hausfassaden aus Freude oder Stolz oder weil er eine Kultursubvention dafür bekommt, doch er fühlt nicht den Schauer von Grüften, es fiele ihm nie ein zu singen: Der Tod, das muß ein Oberösterreicher gewesen sein.

Stefan Fadinger kontra lieber Augustin, wer ist da tragischer? In Oberösterreich, da ist der Tod ein wenig Heldentum, Kampf, Bruckners „Non confundar in aetemam“, in Wien, da ist der Tod das Leben, die heimliche Geliebte des Wieners, der eigene Abgrund, in den du stürzt, wie Peter Altenberg sagte.

Meine frühesten Kindheitserlebnisse: Der Sarg des Engelbert Dollfuß, Geruch von Blumen und brennenden Kerzen, die Todesanbetung, das Schluchzen langsam vorbeigehender Frauen - und dann, in der Erinnerung ohne zeitlichen Abstand, die Leiche eines Schutzbündlers, bleich, blutig, die Augen aufgerissen. Ist es möglich, aus solchen Eindrük- ken ein kokettes Verhältnis zum Tod zu gewinnen? Fertigzuwerden mit der Angst, in der Pestgrube singend?

Der Wiener, der zum Oberösterreicher werden will, muß seine Einstellung zum Tod ändern. Dieser Prozeß ist so schwierig und schmerzlich.

Damit hängt alles zusammen. Die Wiener Autonummern, die als Zeichen von leichtsinnigem Tempo und Rücksichtslosigkeit auf Oberösterreichs Straßen gelten. Oder die Raunzerei der Wiener Touristen, die bei vielen oberösterreichischen Wirten nicht gerne gesehen sind. DerTod, das muß ein Wiener sein.

In Bad Ischl freilich, in Gmunden und Stí Wolfgang, da war es das Kaiserhaus und sein Gefolge, die bedeutendste Wiener Enklave ob der Enns, geliebt und gehaßt, nie ganz integriert und auch nie mit der Absicht, oberösterreichisch zu werden.

In diesen Gegenden wäre und ist es auch heute noch möglich, als unassimilierter Wiener in Oberösterreich zu leben, weil da noch jeder pensionierte Hofrat für eine Art Majestät gehalten wird und der gnädige Handkuß über das,.Frisch auße wia’s drin is!“ triumphiert. Die Atmosphäre ist dort so faszinierend wie gespenstisch, daß sie sich wie ein Vorhang aus Weihrauch vor die Wirklichkeit legt.

Der Urtyp des Oberösterreich- Wieners jedoch war ein Mann aus einer Zeit, als es Leder das eine noch das andere in der heutigen Form gab. Eine Art frühpensionierter römischer Konsul, der mit ungeheurer Glaubenskraft das Christentum am Limes lebte und predigte, zwischen Favia- nis in Wien-Heiligenstadt und Bata- vis-Passau, der heilige Severin. Er hatte ein prophetisches Verhältnis zum Tod und starb singend. Er hat uns alle geprägt.

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