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Bekenntnis zur Klassik

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Eben rechtzeitig, um den olympischen Gästen nicht nur U- und S-Bahnen, Fußgängerzonen und Sportstätten, sondern auch gediegenen Kunstgenuß und ehrwürdige Tradition zu bieten, wurde am Münchner Königsplatz die Glyptothek wiedereröffnet. Ein langwieriger und umstrittener Prozeß, der seit Anfang der sechziger Jahre zu heftigen Diskussionen Anlaß gab, hat damit ein Ende gefunden. Immerhin präsentiert sich jetzt, 27 Jahre nach der Zerstörung durch die Bomben des zweiten Weltkrieges, Deutschlands einziges Museum für antike Bildhauerkunst in einer Gestalt, die als durchaus geglückt bezeichnet werden kann.

Nach Plänen des Architekten Joseph Wiedemann (Technische Universität München) wurde auf die ehemals üppige Innendekoration mit farbigem Stuck, Vergoldungen und Deckenmalereien verzichtet. Statt dessen hat man sich auf die großartige Architektur Leo von Klenzes beschränkt, der 1816 bis 1832 im Auftrag König Ludwig I. den Bau in klassizistischem Stil ausgeführt hat. Man griff dabei auf Anregungen Martin von Wagners, Ludwig I. Ratgeber und Agent, zurück, der schon damals dafür plädiert hatte, von überladenen Dekorationen abzusehen, um den „Wert und die Schönheit der Statuen“ sprechen zu lassen. Der Bayernkönig, dem Zeitgeschmack verbunden, hat Klenzes Vorschlag angenommen. Inzwischen hat sich Martin von Wagners Forderung durchgesetzt: daß ein Museum nicht Selbstzweck, sondern in erster Linie adäquater Rahmen für das Kunstwerk zu sein habe.

Und dies ist das Ergebnis: Rekonstruktion des Mauerwerks in Ziegelbauweise, dünn verschlammte Wände, so durchsichtig, daß die Zdegelfarbe durchschimmert, um ein starres Weiß in lebendige Schattierungen aufzulösen. Die Gewölbe der insgesamt 13 Säle des ebenerdigen Gebäudes, die konzentrisch um den Innenhof angeordnet sind, zeigen in ihrer Schlichtheit eine neue Schönheit, die von der Überfülle der Ornamentik in der alten Glyptothek fast überdeckt worden war. Einzig Teile der ehemaligen Stuckdekoration über den Portalen und im nordwestlichen Ecksaal wurden belassen. Das alte Problem der unzureichenden Beleuchtung hat man dadurch gelöst, daß die geschlossenen Wände unter den halbkreisförmigen Hochwandfenstern gegen den Hof zu geöffnet wurden.

Eine Veränderung erfuhr auch die Anordnung der antiken Kunstwerke. Um sie aus ihrer musealen Starre zu befreien und gleichzeitig dem Besucher von allen Seiten zugänglich zu machen, hat man sie aus dem Zusammenhang mit Architektur und Dekoration herausgelöst und frei in den Raum gestellt. Das Ergebnis wirkt lebendiger, die Konfrontation findet direkter statt. Besonders deutlich im „Römersaal“, im Osten der Glyptothek, wo sich das Publikum zwanglos zwischen insgesamt 66 Charakterköpfen aus dem römischen Imperium bewegen kann.

Weniger vorteilhaft wirkt die Aufstellung der sogenannten „Aegine-ten“, Giebelplastiken des „Aphaia-Tempels“ in Aegina (um 500 vor Christus), die Martin von Wagner einst unter großen Schwierigkeiten zusammengetragen hatte. Sie scheinen die zwei relativ kleinen nördlichen Säle fast zu sprengen. Auch hätte man für das Espresso, das ausgerechnet zwischen Westgiebelgruppe und Ostgiebelgruppe aromatische Düfte verströmt, sicher einen besseren Platz finden können. Probleme ergaben sich auch bei den Restaurierungsarbeiten an den antiken Torsi. Denn obwohl der Direktor Dieter Ohly ursprünglich beabsichtigt hatte, sämtliche (zum Teil falsch ausgeführten) Ergänzungen abnehmen zu lassen, mußte er sich kurz vor der Wiedereröffnung doch noch zu einigen Kompromissen entschließen: So wurde zum Beispiel bei dem berühmten „Barberinischen Faun“ (um 220 v. Chr.), der neben den „Aegineten“1 wohl das kostbarste Stück der Glyptothek darstellt, noch in letzter Minute das von Pacetti rekonstruierte rechte Bein wieder angegipst. Die zentral im südlichen Rundsaal postierte kolossale Figur des trunkenen Satyr ohne rechtes Bein wäre für das Publikum wahrscheinlich doch ein Schock gewesen.

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