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Bürger, Tunichtgut
Moraltrompeter gibt es nicht mehr. Die Moral als Forderung auf die Rechte des Nebenmenschen Rücksicht zu nehmen, gilt nach wie vor, ja mehr denn je. Doch als hochgehaltenes Banner betont klassenbewußten Bürgertums mußte sie zum Widerspruch herausfordern, zur Entlarvung im Hinblick auf die faktische Lebenshaltung. Im besonderen galt dies für die mit viel Nachdruck vereinsmäßig verteidigte sexuelle Moral.
Moraltrompeter gibt es nicht mehr. Die Moral als Forderung auf die Rechte des Nebenmenschen Rücksicht zu nehmen, gilt nach wie vor, ja mehr denn je. Doch als hochgehaltenes Banner betont klassenbewußten Bürgertums mußte sie zum Widerspruch herausfordern, zur Entlarvung im Hinblick auf die faktische Lebenshaltung. Im besonderen galt dies für die mit viel Nachdruck vereinsmäßig verteidigte sexuelle Moral.
Es gab Sittlichkeitsvereine. Ja, im Jahr 1906 verbüßte Ludwig Thoma in Stadelheim eine sechswöchige Haft wegen Beleidigung von Vertretern diser Vereine. Dort war es, wo er seine Komödie „Moral“ entwarf, die derzeit vom Volkstheater in den Wiener Außenbezirken aufgeführt wird. Beermann, Vorstand eines Sittlichkeitsvereins, Ehemann und oftmaliger Besucher einer sehr eindeutigen „Dame“, kommt bekanntlich in Schwulitäten, als sie verhaftet wird und man bei ihr Aufzeichnungen über ihre Besudle findet. Das Lächerlichmachen geheuchelter, aber mit viel Pathos verkündeter und geforderter Sexualmoral wirkt antiquiert in einer Zeit, da Sex Mode ist. Dieses Stück gilt als eine der besten deutschen Komödien. Tatsächlich haben die Pfeile von Thomas Satire mit wahrer Meisterschaft ins Schwarze getroffen. Nur gibt es nicht mehr alle dieser Scheiben. Es zeigt sich, daß das Theater darüber hinwegspielen kann, bietet der Autor, wie hier, dichte Szenen und gut gezeichnete Charaktere. Die Wiedergabe durch das Volkstheater wirkt freilich unter der Regie von Michael Fink unausgeglichen. Werden zwar Beermann durch Rudolf Strobl, die „Dame“ durch Traute Wassler, eine Frau Lund durch Elisabeth Epp als wirksame Komödienfiguren gezeichnet, so bietet Franz Morak als Polizeiassessor eine ätzende, scharf übersteigerte Groteskgestalt — beachtlich der Gegensatz zu seiner Leistung in der „Rozznjoigd“ — und einzelne andere Darsteller spielen Posse.
An die losen Histörlein der Renaissancenovellisten denkt man bei der Komödie „Mandragola“ von Niccolo Machiavelli, die derzeit von den „Komödianten“ im Theater am Börseplatz vorgeführt wird: Sie alle zeigen fast stets wie Hindernisse, die sich erotischen Abenteuern entgegenstellen, mit bedenkenloser Zielstrebigkeit beseitigt werden. Hier geht es um den Großangriff auf Frau Lukrezias Ehrbarkeit, bei dem es gelingt den Gatten als Mithelfer dafür zu gewinnen, daß der junge Heißsporn Callimaco schließlich ihr Geliebter wird. Die Rabulistik des ins Sexuelle transferierten Machiavellismus — jedes Mittel ist recht, wenn es zum Ziel führt — bietet so etwas wie faunische Ergötz- lichkeit. Beachtlichkeit ist die Änderung, daß in der hier verwendeten Bearbeitung von M. C. Feiler kein Mönch vorkommt, sondern Callimaco den Mönch nur spielt. Als Komödie inszeniert, würde das Stüde wohl antiquiert wirken. In der Verfremdung der Wiedergabe ins Pantomimische durch Regisseur Conny Hannes Meyer ergibt sich der Reiz des Artifiziellen, das Stück wird in eine andere Dimension, Gerty Reith, Emst Bruderer und Michael Ben, Dieter Hofinger und Elisabeth Fuchs bieten ziemlich gleichwertige Leistungen. Gerhard Jase entwarf das wirkungsvoll unnaturalistische Bühnenbild.
In dem Stück „Ginger Man“ des in England lebenden Amerikaners J. P. Donleavy, das im „Theater der Courage“ zur östereichischen Erstaufführung gelangte, wird ein junger Kerl, verheiratet, Vater eines Kindes, geradezu meisterhaft gezeichnet. Dieser Dangerfleld ist ein Tunichtgut, flog aus allen Schulen, arbeitet nichts, sauft, erweist sich als kaltherzig, egoistisch, rüde, über das ihm nie zu Bewußsein kommende Ungenügen an sich setzt er sich durch seine reiche Phantasie, durch Ironie und Witz hinweg. Sein Freund ist eine gröbere Variante von ihm. Es geschieht fast nichts, seine Frau verläßt ihn, von einer anderen trennt er sich. Trotz der Vorzüge des Dialogs wird das Stück totgeredet. Man ermüdet. Unter der Regie von Werner Prinz kommt es zu einer vortrefflichen Aufführung mit deckenden Besetzungen. Vor allem ersteht durch Urs Obrečht als Dangerfleld voll das Farbige dieses Charakters. Aber auch Fritz Sattler, Gertraud Frey und Berta Kammer bieten glaubenhafte Gestalten. Sinya schuf milieugerechte Bühnenbilder.
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