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Das unbekannte Vikariat Nord

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FURCHE: Man liest und weiß über das Vikariat im Norden Niederösterreichs sehr viel weniger als über andere Diözesen. Woran liegt das?

BISCHOFSVIKAR NOWAK: Nun, das Vikariat unter dem Man-hartsberg ist einer starken Strukturwandlung unterworfen, das mag einer der Gründe sein. Die Teilung der Diözese in drei Vikariate war die erste Frucht der Wiener Diözesansynode 1969. Und es bot sich von Natur aus die Stadt, im Süden das Viertel unter dem Wienerwald und im Norden unser Viertel als eigene Großregion als Einteilung an.

FURCHE: Wieviele Pfarren umfaßt das sogenannte „Vikariat Nord?”

NOWAK: Wir haben 270 Pfarren mit rund 268.000 Seelen, natürlich haben viele Pfarren mehrere Filialen, insgesamt 94 Filialkirchen sind also mit-zuberücksichtigen. Ich selbst bin ja, auch jetzt als Bischofsvikar, noch Pfarrer zweier Pfarren, und zwar Enzdorf am Kamp und Engabrunn. Das sind die beiden westlichsten Pfarren des Vika-riats.

FURCHE: Welches sind die Hauptfaktoren des Strukturwandels in diesem Gebiet?

NOWAK: Da wären Abwanderung und Geburtenrückgang zu nennen, die Schulzusammenlegung, aber auch die Schließung vieler Kaufmannsgeschäfte und oft sogar des Gasthauses spielt eine Rolle. Damit sind die Kommunikationszentren für die Menschen, Männer, Frauen, aber auch Kinder verlorengegangen.

FURCHE: Was bedeutet dies für die Kirche?

NOWAK: Eine sehr gewaltige Aufgabe, denn das Konzil sagt mit großer Berechtigung, daß der Gottesdienst der Gipfel all unseres Tuns ist, aber sicher ist er nicht die einzige Seelsorge, und wir haben hier nicht für jede Pfarre einen Seelsorger. Das hat es immer gegeben, doch ist es in letzter Zeit viel stärker geworden. Und ich glaube, aus der Not heraus ist etwas zum Aufbruch gekommen, das ist der Aufbruch von der versorgten Pfarre zur mitsorgenden Pfarrgemeinde. Das ganze Ziel des Konzils ist ja die Verlebendigung des Glaubens in der Pfarre, damit nicht eine Versorgungskirche, sondern eine Kirche, eine Gemeinschaft selbst den Glauben trägt bis in die letzten Winkel, vor allem aber bis in die Familie, bis auf den Arbeitsplatz.

FURCHE: Trotzdem ist die Personalnot natürlich sehr drückend?

NOWAK: Das ist sie, aber noch bevor es so weit war, sind im Konzil die Weichen vorausschauend gestellt worden, man kann von einer Fügung sprechen, wenn heute Laien bei vielen Diensten mithelfen. Wir haben immerhin schon 350 Kommunionspender, auch Kommunionspender zu Gottesdienstleitern ausgebildet, und viele rüstige Priester in Pension leisten einen wichtigen Beitrag.

FURCHE: Wie weit ist die Situation in Ihrem Vikariat repräsentativ für Niederösterreich, für Österreich?

NOWAK: Man kann da schwer Vergleiche ziehen. Der Süden, das Vikariat unter dem Wienerwald, hat 30 unbesetzte Pfarren, wir haben 80.

FURCHE: Woran liegt das?

NOWAK: Das hat historische Gründe. Es hängt damit zusammen, daß der Süden Niederösterreichs weniger kleine Pfarren hat, und dies wiederum hängt mit der Größe der Dörfer zusammen.

FURCHE: Wie sieht nun die Zukunft des Vikariats Nord unter dem Gesichtspunkt des Priestermangels aus?

NOWAK: Wir haben einen Plan entworfen, eine Raumplanung ausgearbeitet, und können diesen Plan nun, natürlich nur Schritt für Schritt, durchführen. Dabei werden sich zunächst als erster Schritt mehrere Pfarren, die auch jetzt besetzt sind, zu Pfarrverbänden zusammenschließen. Natürlich werden wir nun nicht einem Pfarrer, der vielleicht schon knapp vor der Pensionierung steht, und seine Gemeinde gut kennt, einfach sagen „pack deine Sachen, zieh weg” - auch wenn ältere Seelsorger nicht jeden neuen Schritt mitvollziehen können. Ich weiß auch, daß jede Pfarre anders ist als die andere und daß die intime Kenntnis einer Pfarre von großem Wert ist.

Aber da wäre eben durch die Bildung von Pfarrverbänden gerade die Chance gegeben, daß ein Priester, der durch sein Alter oder gesundheitlich nicht mehr so einsatzfähig ist, auf Pastoralsparten ausweicht, etwa auf die Kranken- oder Altenbetreuung, oder auf irgendein anderes Gebiet, das ihm liegt, für das er noch genug Leistungsfähigkeit hat, so daß er in der alten Gemeinde bleiben kann. Ein alter Baum läßt sich nicht mehr umsetzen. Wir hätten hier also einen Weg, die Raumplanung Schritt für Schritt weiterzuführen.

FURCHE: Und wie sieht diese Raumplanung nun im einzelnen aus?

NOWAK: Vor allem kann man da nicht alles über einen Kamm scheren, man kann also nicht einfach sagen: jeweils so und so viele tausend Seelen bilden eine neue Pfarre. Denn diese ein-oder zweitausend Seelen können in manchen Gebieten zwei Gemeinden mit zwei Pfarren bedeuten, anderswo aber müßten wir vielleicht fünf, sechs oder sogar neun Dörfer zusammenziehen, um auf die gleiche Zahl von Seelen zu kommen.

FURCHE: Dann müßten die Menschen aus neun Dörfern zur selben Kirche fahren?

NOWAK: Wir haben die Filialkirchen, aber die Seelsorge verlangt ja nicht nur den Gottesdienst. Die Gemeinde braucht Seelsorge, und das bedeutet Kontakt, bedeutet Bezugspersonen, und je größer die Einheit wird, in der ein Mensch lebt, desto mehr braucht er die Bezugsperson.

FURCHE: Sie legen also großes Gewicht auf die Arbeit der Laien?

NOWAK: Wir müssen es. Aber ich würde nicht nur Mitarbeit der Laien sagen, sondern Verlebendigung des Glaubens überhaupt, in der einzelnen christlichen Familie. Denn sie ist sozusagen die Urzelle der Kirche, die Hauskirche, von der gerade in letzter Zeit soviel gesprochen wird und so viel schon aufgebrochen ist. Nur aus dieser christlichen Familie kommen wieder geistliche Berufe, die wir zu allen Zeiten brauchen.

(Mit Bischofsvikar Monsignore Josef Nowak sprach Hellmut Butterweck.)

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