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Der arme Poet

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Doch, es gibt ihn noch, den armen Poeten: Ich hause in meiner Kammer wie der bei Spitzweg.

Etwas anders.

Ich bin tief gesunken. Es ist nicht bunt bei mir. Keine Zipfelmütze. Keine Folianten. Kein Stiefelknecht. Kein Humor. Auch kein Schirm. Den brauche ich nicht, denn ich hause nicht unter dem Dach, wo ich dem Himmel näher wäre.

Ich hause im Keller.

Ein ehemaliger Kartoffelkeller, fünf Quadratmeter groß.

Die Hausfrau ist Sägewerkbesitzerin. Sie hat auf den Zementboden ein paar Holzbretter nageln lassen. Der Raum sah gleich wohnlicher aus. Auch heller.

Den Himmel sieht man am besten, wenn man sich verhält wie im Kino in der ersten Reihe. Man muß den Kopf weit in den Nacken legen.

Leider sind in dem ehemaligen Kartoffelkeller keine Kartoffeln mehr. Nur ein eiserner Herd mit einem abblätternden silbernen Ofenrohr und vier geschweiften Tatzen, die mich an meinen Hund erinnern, ein Gestell, ein Tisch und eine Bank mit einem Polster und einer Decke. Man kann darauf schlafen.

Die Waschgelegenheit ist nebenan in der Waschküche, zu der die Tür immer offen steht.

Die Miete für die fünf Quadratmeter ist billig. Trotzdem habe ich sie schon seit Monaten nicht bezahlt.

Wenn man auf der Bank liegt und den Kopf richtig hält, sieht man am Tag manchmal die Sonne und in der Nacht manchmal den Mond. Wenn es regnet oder schneit, ist es gleichgültig, wie man den Kopf hält. Man muß dann den ganzen Tag die kleine Lampe brennen lassen, die auf dem Gestell steht, und die Birne an der Decke dazu.

Die Tür ist aus Holz und kann mit einem großen schwarzen Schlüssel abgesperrt werden. Er ist schwer wie ein Kirchenschlüssel. Dem Geläut nach, scheint es hier Unmengen von Kirchen zu geben. An den Sonntagen ist es schlimm. Zu Hause war das anders. Da läuteten keine Glocken. Das war auch nichts.

Ich hätte zu Hause bleiben können. Natürlich hätte ich das.

Meine alten Eltern haben mich beschworen, zu bleiben. „Dann sind wir ganz allein“, haben sie gesagt. Aber sie haben verstanden, daß ich die Freiheit vorgezogen habe.

Jedenfalls haben sie das behauptet.

Sie haben gewußt, in welcher Nacht ich sie verließ.

Wir haben ausgemacht, daß wir uns nicht noch einmal verabschieden wollten.

Nach dem Abendessen haben wir uns gute Nacht gesagt wie immer.

Sie sind ins Bett gegangen.

Ich habe das Wenige gepackt, das ich unauffällig und leicht tragen konnte.

Mein Hund hat zugesehen. Er hat alles gewußt.

Wann war das?

Seit ich hier bin, verliere ich das Gefühl für Zeit immer mehr.

Mascha ist nicht mitgekommen.

Sie hat gesagt, daß sie mich liebt.

„Ich geh mit dir durch dick und dünn“, hat sie gesagt. Aber als ich von der Freiheit gesprochen habe, hat sie den Kopf geschüttelt.

Sie hat meine Briefe nicht beantwortet. Vielleicht hat sie sie nicht bekommen.

Zu Hause habe ich gut gelebt, wie man so sagt. Ich durfte nur nicht sprechen und schreiben was ich dachte.

Hier bin ich heruntergekommen, wie man so sagt.

Ich kann sprechen und schreiben, was ich will. Aber ob ich davon leben kann, steht noch dahin.

Es sieht nicht so aus.

Das ist ein Engpaß.

Ein Engpaß in der Freiheit. Ich habe sie gesucht, denn mein Hunger nach Freiheit war größer als jetzt mein Hunger nach Brot. Was ich gefunden habe, ist eine ungeheure Gleichgültigkeit und Dummheit, Raffgier und Eitelkeit, Prunksucht und Öde.

Wie kommt man in dieser Freiheit aus einem Engpaß heraus?

„Jaja“, sagen die Leute, wenn ich mit ihnen zu sprechen versuche, „das ist sehr interessant, was Sie da erzählen. Wo kommen Sie doch her -? Was Sie nicht sagen.“

Sie haben nicht zugehört.

Es ist unmöglich, zu begreifen, was in ihren Hirnen vorgeht.

In ihren Herzen?

Daran habe ich noch gar nicht gedacht.

Wenn es nicht auf den Winter zuginge.

Die Uhrkette vom Großvater habe ich noch. Alles andere ist schon weg. Mit einer Uhrkette kommt man nicht über den Winter.

Außerdem kann ich sie nicht verkaufen. Mutter hat sie mir geschenkt, als ich zwanzig wurde.

Es regnet. Ich brauche, wie gesagt, keinen Schirm, denn in einen ehemaligen Kartoffelkeller regnet es nicht hinein.

Die Nässe sitzt unten. Sie steigt langsam herauf. Der Holzboden wird schon feucht.

Kein Regenschirm und kein Humor.

Auch keine Romantik.

Nichts für Spitzweg.

Selbst, wenn er morgen käme, um mich zu malen, so wie er mich finden würde: Ich wäre kein Motiv.

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