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Der Minnesänger mit dem spitzen Hut

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Süßkind von Trimberg ist der erste jüdische Dichter deutscher Sprache. Friedrich Torberg rekonstruiert das Leben dieses mittelalterlichen Poeten mit den künstlerischen Mitteln des Romans. Seine einzige authentische Unterlage sind die zwölf Texte von Süßkind, die zusammen mit einer farbigen Miniatur in der „Manessischen Handschrift“ überliefert sind. Süßkinds Gedichte zeigen die tiefe Verwurzelung in der Moral und Glaubenswelt des Judentums und sind keine Minnelieder im eigentlichen Sinne, eher Spruchdichtungen. Er lebte im 13. Jahrhundert als Arzt (oder Sohn eines Arztes?) an einem Hospital in Würzburg. Der Knabe überlebte den Pogrom, dem die Eltern zum Opfer fielen, ging mit einem Bettelmönch auf Wanderschaft, schrieb seine ersten Gedichte und wurde als fahrender Sänger bekannt. Solange die Adelsherren ihn schützten, genoß er Geltung und Ruhm, waren die jüdischen Gemeinden stolz auf ihn. Als er sich gegen die Willkür des Adels wendete, entzogen ihm die Herren ihre Gunst, und die Juden rückten von ihm ab, weil sie neues Unheil fürchteten. So stand er schließlich allein, verstoßen und verachtet — und so sieht Torberg ihn als Vorgänger vieler anderer und hebt sein Schicksal in Zeitnähe und Überzeitlichkeit. D. A.

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Süßkind von Trimberg ist der erste jüdische Dichter deutscher Sprache. Friedrich Torberg rekonstruiert das Leben dieses mittelalterlichen Poeten mit den künstlerischen Mitteln des Romans. Seine einzige authentische Unterlage sind die zwölf Texte von Süßkind, die zusammen mit einer farbigen Miniatur in der „Manessischen Handschrift“ überliefert sind. Süßkinds Gedichte zeigen die tiefe Verwurzelung in der Moral und Glaubenswelt des Judentums und sind keine Minnelieder im eigentlichen Sinne, eher Spruchdichtungen. Er lebte im 13. Jahrhundert als Arzt (oder Sohn eines Arztes?) an einem Hospital in Würzburg. Der Knabe überlebte den Pogrom, dem die Eltern zum Opfer fielen, ging mit einem Bettelmönch auf Wanderschaft, schrieb seine ersten Gedichte und wurde als fahrender Sänger bekannt. Solange die Adelsherren ihn schützten, genoß er Geltung und Ruhm, waren die jüdischen Gemeinden stolz auf ihn. Als er sich gegen die Willkür des Adels wendete, entzogen ihm die Herren ihre Gunst, und die Juden rückten von ihm ab, weil sie neues Unheil fürchteten. So stand er schließlich allein, verstoßen und verachtet — und so sieht Torberg ihn als Vorgänger vieler anderer und hebt sein Schicksal in Zeitnähe und Überzeitlichkeit. D. A.

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Des Mannes Krone ist ein keusches Weib.

Ihn ehrt, was sie besitzt: Reinheit an

Seel und Leib. Wie glücklich der, dem sie zur Seite steht

Und dem mit ihr in Freuden Jahr um Jahr vergeht!

Kein Zweifel nagt an ihm, nicht insgeheim noch offen,

Durch sie wird er von Schande nie betroffen.

Ihr Licht erstrahlt auch in der Nacht, Mit hoher Stetigkeit ist sie bedacht, Zu ihrem hohen Lob hab ich dies Lied gemacht.

Es war die Burg Feldeck, wo er's gemacht hat, es stand um diese Zeit ein guter Stern über ihm, und es wehte ein freundlicher Wind. Damit muß nicht unbedingt ein Witterungsmerkmal gemeint sein. Es kann sich auch um Verständigung in Fragen der Gastfreundschaft handeln, um Hinweise auf eine offene Hand und ein offenes Haus. Unter jenen, die solcherlei Hinweise austauschten, unter den Musikanten zumal und unter den nicht zum Adel gehörigen Sängern, hatte sich da eine Art Geheimsprache entwickelt — man wußte ja schließlich nie, wer in der Schänke mit am Tisch saß oder wer im nächsten Torbogen stand. Und wenn man bestimmte Ratsamkeiten oder Aussichten erkunden wollte, so fragte man eben, ob denn diese oder jene Burg nicht allzu hoch gelegen sei, und erfuhr, daß dort ein milder oder ein scharfer Wind wehte, je nachdem.

Auf Burg Feldeck also hat Süßkind milden Wind vorgefunden, und Kilian der Burgherr hat ihn sogar besonders freundlich empfangen. Eigentlich war es das erstemal, daß Süßkind meinen durfte, man erweise ihm Freundlichkeit um seinetwillen, man erweise sie seiner Person und nicht bloß seiner Kunstfertigkeit. Auf den Burgen und Höfen zuvor hatten sie ihn aufgenommen und abgespeist, wie man seinesgleichen aufzunehmen und abzuspeisen pflegt, fahrendes Volk, ob Sänger oder Gaukler, ob Spielmann oder Bettelmönch, manchmal willkommen und manchmal nicht, manchmal nur der Sänger willkommen, manchmal nur der Gaukler, manchmal alle beide, wie sich's gerade trifft und wie's der Zufall will. Herr Hartmann freilich hat den Zufall nicht so blindlings walten lassen, wußte ihm beizukommen mit kundigem Spürsinn und gewichtigem Auftreten, und auf den ersten Fahrten für sich allein ist Süßkind oft genug an die Frage geraten, ob er unter Herrn Hartmanns Geleit nicht besser führe. Doch hatte er sich nach einiger Zeit zurechtgefunden und gehörte nun schon zu denen, die nirgends zurückgewiesen wurden, nicht einmal dort, wo man für Sangeskunst und Saitenspiel im Augenblick keine Verwendung oder gar insgesamt nichts übrig hatte, auch das kam vor. Denn die von Minne sangen, waren nicht nach jedes Burgherrn Geschmack — vielleicht weil er die Darbietungen eines Possenreißers oder Bärenführers vorzog, oder vielleicht war sein trautgeliebtes Ehgemahl solch einem Minnesänger zu traut und zu lieb entgegengekommen, und seither stand dem Herrn die ganze windige Gilde schief zu Gesicht, auch das kam vor. In der Regel jedoch bot man dem Sänger, dessen man nicht bedurfte, zumindest ein Nachtlager an und noch die Kost des nächsten Tags, ließ ihn manchmal auch zwei oder drei Tage lang verweilen, und manchmal, wenn der Burgherr sich anders besann oder Gäste sich einfanden, ging's dann doch noch nach Wunsch und Wohlgefallen weiter.

So war's auch diesmal auf Feldeck weitergegangen, und als nach Ablauf der zweiten, bis zumVollmond erstreckten Frist Süßkind als einziger von Herrn Kilian zu noch längerem Bleiben eingeladen wurde, schwoll ihm dermaßen der Stolz und faßte er zu Herrn Kilian so großes Vertrauen, daß er die Sponheimsche Gemme von unter seinem Wams hervorzog und zu erzählen begann, wie und warum er sie bekommen hatte.

Herr Kilian hörte sich's ruhig bis zum Ende an; dann schüttelte er verwundert den Kopf:

„Nach alledem hab' ich dich nicht gefragt“, sagte er. „Warum erzählst du's mir?“

Süßkind — und das widerfuhr ihm selten — wurde rot vor Scham, brachte gerade noch ein lahmes „Ich dachte ...“ zuwege, und schwieg.

„Was dachtest du?“

„Da Ihr Antwort verlangt, Herr: Ich wollte Euch beweisen, daß Ihr keinen Unwürdigen ausgezeichnet habt.“

„Wenn ich dich nicht für würdig erachtet hätte — dein Anhängsel hätte dich in meinen Augen nicht würdiger gemacht. Traust du mir denn kein eigenes Urteil zu?“

„Das tu ich ganz gewiß, Herr. Wovor mir dennoch bangt, und weshalb ich Euch jenen Beweis erbringen wollte: das hat nichts mit Eurem Urteil zu tun.“

Es folgte ein bedächtiges Kopfwiegen des Herrn Kilian, der an Süßkinds geschmeidiger Widerrede ganz offenbar Gefallen fand:

„Da aber mein Urteil schon zu deinen Gunsten ergangen war — wovor sollte dir da noch bangen?“

„Nun, Herr: Es könnte ja sein, daß irgendeiner sich durch Euer Urteil zurückgesetzt fühlt oder mir heimlich übel will. Und der könnte Euch zutragen, daß Ihr Eure Gunst einem Juden erwiesen habt, was soviel heißen will wie: einem Unwürdigen. Deshalb wollte ich's Euch lieber selbst sagen.“

„Und was, wenn ich's ohnedies gewußt hätte, Süßkind? Was dann und wozu?“

Darauf war Süßkind nun freilich sowenig gefaßt, daß er sich aus seiner Verlegenheit nur in eine unstatthaft zugriffige Frage retten konnte:

„Habt Ihr's gewußt oder nicht, Herr?“

Herr Kilian ließ sich keinerlei Erstaunen anmerken:

„Nimm an, ich hätte es gewußt. Nimm an, daß viele es wissen. Viel mehr, als du glaubst.“ Er lächelte und nickte, womit zugleich die Beendigung des Gesprächs angekündigt war. „Bist du gut untergebracht und behandelt man dich gut?“

„Tausend Dank, Herr. Es ist alles so gut, als es nur sein kann. Ich bin Euch sehr dankbar, Herr.“

Die Belehrung, die ihm Herr Kilian am Schluß dieses Wechselgesprächs erteilt hatte, und die beinahe einer wohlwollenden Entlarvung gleichkam, machte ihm noch tagelang zu schaffen. Denn wofern es da etwas zu entlarven gab, mußte es doch zuvor etwas Verdecktes und Verlarvtes gegeben haben — Süßkind merkte es mit einem sonderbaren Gefühl der Befremdung, ja der Fremdheit sich selbst gegenüber. Dann war's also um sein jüdisches Bekennertum gar nicht so glorreich bestellt? Dann wollte er ja dieses „Iwri anochi“, das ihn der Vater gelehrt und dessen er sich so stolz zu rühmen gemeint hatte, verborgen halten? Oder nur dort offenbaren, wo er sich Wirkung davon versprach? Und selbst um die war's geschehen, wenn so viele es ohnedies wußten! Da täte er wahrlich besser, der Spiegelfechterei — die er solcherart auch mit sich selbst aufgeführt hätte — ein Ende zu setzen; nicht immer zu warten, ob und wann und wie sich eine neue Gelegenheit dazu böte; und böte sich keine, dann eben nicht.

Spiegelfechterei: ja, das war's. Erbärmliche Spiegelfechterei. Und er tat sich auf seine Erbärmlichkeit noch was zugute.

Hätte Süßkind in solchen Augenblicken der Selbstanklage und Selbstverteidigung sich ungetrübten Überblick bewahrt — er wäre wohl ein wenig besser weggekommen. Schließlich hatte er ja sein „Iwri anochi“ niemals verraten oder verleugnet, weder aus Feigheit noch um eines schäbigen Vorteils willen (sondern er hatte oft genug Mut bewiesen und Nachteile eingeheimst). Aber schon der bloße Gedanke, daß er von irgendwem — und gar vor einem ihm so Gutgesonnenen, wie

Herr Kilian es war — der Feigheit oder Schäbigkeit überhaupt verdächtig werden könnte, erschütterte ihn bis ins Gefüge seines Daseins.

Herr Kilian, als sie einander eines Morgens vor den Stallungen begegneten, hielt ihn an und schmunzelte und zwinkerte:

Das wäre ja, so sagte er (nach Süßkinds Kopfbedeckung deutend), in jeder Hinsicht wohlgetan, daß Süßkind nun ständig den Judenhut trüge. Erstens befolge er damit den Erlaß des heiligen Konzils, der längst in allen deutschen Ländern Geltung besäße. Zweitens gäbe er sich auf diese Weise den anderen seiner Zunft als der zu erkennen, als den ihn Gott geschaffen und gemeint hätte. Drittens jedoch — hier neigte Herr Kilian, abermals' zwinkernd, sich näher an Süßkind heran — drittens würde es ihm noch zum Nutzen und Gewinn ausschlagen, aus der Not eine Tugend zu machen.

Wie das zu verstehen sei, fragte Süßkind unsicher.

„Na, na, na.“ Herr Kilian klopfte ihm breit lächelnd auf die Schulter. „Ist ja nicht so schwer. Du bist, meine ich, der einzige Jude unter all denen, die mit ihren Liedern durchs Land fahren. Und das wird, meine ich, noch ein gutes Geschäft für dich werden. Was ja wohl die Hauptsache ist. Oder nicht?“

Und ohne eine Antwort abzuwarten, entschritt mit freundlichem Nicken Herr Kilian.

Süßkind, der sich erst kurz vorher zugeschworen hatte, den spitzen Hut nie wieder abzutun, wäre in diesem Augenblick zu glattem Gegenschwur bereit gewesen: daß er den spitzen Hut nie wieder aufsetzen wolle. Und es waren keine sonderlich liebenswürdigen Worte, die er halblaut dem Entschreitenden hinterherschickte, zwischen knirschenden Zähnen hervor und ohne seiner Dankespflicht im mindesten eingedenk zu sein.

Indessen gewann er bald genug sein Gleichgewicht zurück, für das er künftighin nach gänzlich eigenem Ermessen zu sorgen entschlossen war. Und dem Lied, mit dem er an einem der nächsten Abende den Beifall des Burgherrn von Feldeck und seiner um die Tafel versammelten Gäste errang, war durchaus nicht mehr anzumerken, von welchem Ursprung es kam:

Gedanken bleiben unverwehrt dem Toren wie dem Weisen.

Sie ziehn, wem sie auch gelten, frei dahin.

Nichts hält sie auf, nicht Stein noch Stahl noch Eisen.

Gedanken sind des Menschen Eigentum, wie Herz und Sinn.

Gleichviel, ob sie hernach zur Tat auch reifen —

Man merkt sie wohl, doch kann man sie nicht sehn noch greifen.

Sie gleiten schneller über Land

Als deiner Augen Blick,

Sie holen dir der Minne Pfand,

Dein Traumgesicht vom Glück,

Und können höher als der Aar durch alle Lüfte streifen.

Aus dem Roman „Süßkind von Trimberg“ von Friedrich Torberg. S.-Fischer-Verlag.

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