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Die Ängste eines Antimediziners

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Hand aufs rasend pochende Herz: Wer geht schon gerne zum Arzt? Die Ordinationshilfe. Die auch nur, weil der Herr Doktor ihr Brötchengeber ist. Alle übrigen gehen höchstens gerne ins ärztliche Wartezimmer.

Entweder wegen der Illustrierten vom Vorjahr, die sonst nirgends mehr zu haben sind, oder wegen der aufregenden Horrorgeschichten, die man von den ausharrenden Opferlämmern zu hören bekommt, eventuell aus psychologischen Gründen, da bekanntlich im Wartezimmer des Arztes die Schmerzen verschwinden.

Dies rührt daher, daß man sich mit voller Kraft auf seine Angst konzentriert. Auf die Furcht vor den Schmer-

zen, die sich bei der Untersuchung wieder einstellen, vom Arzt durch Herumdrücken verursacht, bis er herausgefunden hat, wo es weh tut, was ihm sein Erfolgserlebnis verschafft.

Jawohl, ich habe den Mut zu bekennen, daß ich ein Feigling bin. Andernfalls hätte ich ja selbst Medizin studieren können. Aber ich hatte weder das Zeug zum Internisten, da ich extro-vertiert bin, noch zum Chirurgen, da ich nicht einmal im Restaurant Blut sehen kann, wenn der Kellner ein offenbar verletztes Steak serviert, und schon gar nicht zum praktischen Arzt, wegen meiner Ungeschicklichkeit. Ich hätte höchstens ein unpraktischer Arzt werden können.

So habe ich den Beruf eines Patienten gewählt und fürchte mich lieber vor Ärzten. Wieso auch nicht, wo ich

doch sogar Ärzte kenne, die sich vor Ärzten fürchten?

Noch ärger ist es mit dem Zahnarzt. Der Zahnarzt ist überhaupt das ärgste, was einem passieren kann. Er verkörpert das Feindbild schlechthin. Dabei kann der arme nichts dafür, daß er den Buhmann abgibt. Außer, daß er den Beruf gewählt hat. Er wird schon gewußt haben, warum. Vielleicht war es nur soviel: er hat etwas gegen schlechte Zähne. Doch seine Opfer -zu denen er selber gehört, wenn er zum Zahnarzt muß - vermuten hinter dieser Berufswahl unlautere, krankhafte Ursachen.

Die verbreitetste Meinung ist, er müsse ein Sadist sein, sonst könnte er unmöglich seinen Mitmenschen, die ihm nichts getan haben, mit einem Asphaltbohrer in den Mund fahren.

Es nützt ihm nichts, daß erden technischen Fortschritt nützt und mit Plat-tenspielemadeln bohrt (es müssen welche der Langspielplatten sein), die keinen Lärm mehr verursachen, nur noch Schmerzen. Der unglückliche Zahnarzt bleibt verhaßt, auch wenn er kein alter Mann mit zittrigen Händen ist, wie einer von der Zunft, in dessen Folterstuhl ich aus meinem Schock erst zu mir kam, als er schon in meiner Nase bohrte.

Ich verdränge den Zahnarzt, und sei er der liebenswürdigste Mensch auf Erden, und rede mir ein, ich brauchte ihn nicht. Ich habe nur zwei Hände und zwei Füße, und die genügen mir.

Wie sollte ich da mit zweiundzwanzig Zähnen, die mir noch von den zweiunddreißig übriggeblieben sind, nicht mein Auslangen finden?

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