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Digital In Arbeit

Die Sunden ooclc A. G.

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Nachdem der Berufsberater meine Kleidung, meine Handschrift sowie meine Seele analysiert hatte, schob er sich die Brille auf die Stirn und sagte:, ,,Mr. Williams, Sie sind der geborene Rentner. Ich kann Ihnen nur den Rat geben, sich in eine Unfallversicherung einzukaufen und sodann fleißig über die Straße zu gehen. Vielleicht haben Sie Glück, und es geschieht ein Unglück.“ Seitdem machten alle Autos einen Bogen um mich herum. Da ich immerhin Seele und Körper zusammenhalten mußte, so wurde ich nacheinander Bürstenreisender, Unfallreporter, Wahrsagerassistent und Reklameberater Ich war für jeden dieser Berufe begeistert, aber immer nur die ersten drei Tage. Der Berufsberater hatte recht: ich suchte instinktiv aus allen Dienstverhältnissen eine Altersrente zu machen, worauf ich dann nach spätestens einem Monat vor der Tür saß. Immerhin erwarb ich auf diese Art eine ganz hübsche Uebung im Entlassenwerden. Einen langjährigen Angestellten trifft die Kündigung wie ein Schlaganfall, mich dagegen wie ein Kuß der Freiheitsgöttin.

Um so schöner entwickelte sich dafür mein Privatleben. Ich hatte mich beim Rosenfest in zwei eisblaue Augen verliebt, die ich bald im Tanz ganz nah an meiner Wange spürte. Helen besaß eine Kette von Kosmetiksalons, die einen unerbittlichen Kampf gegen Runzeln, Schlaffheit und Leibesumfang führten. Sie gestand mir, daß sie Runzeln im speziellen haßte, jedoch im allgemeinen segnete, weil diese ihr Gewinn brächten. Solche Offenherzigkeit konnte ich unmöglich mit gleichem vergelten, und darum deutete ich zurückhaltend an, daß ich Mikrobiologe sei und den Virus der Indolenz entdeckt habe. Die Herstellung eines Impfstoffes sei nur mehr eine Frage der Zeit. Sie blickte mich bewundernd an und so bewunderten wir uns gegenseitig.

Als ich zu Hause nachgrübelte, welche Stellung ich nun suchen sollte, kam ein Anruf von /enem Reklamebüro, das mich erst kürzlich hinausgefeuert hatte. Ich solle sofort kommen, es sei dringend. Ein Angestellter nahm mich in Empfang und flüsterte: „Williams, Sie heißen Smith, und der Chef wird Sie gleich hineinrufen um Sie wegen der verpatzten Seifenreklame zu entlassen. Verstehen Sie: nur zum Schein. Sie bekommen dafür 100 Dollar.“ Und schon schnarrte das Chef-Telephon: „Smith soll hereinkommen.“

Als ich ins Allerheiligste trat, saß der Chef mit rotem Kopf hinter seinem Schreibtisch. Vor dem Schreibtisch aber saß ein dicker Herr mit dicken Brillengläsern, der ebenfalls unzufrieden aussah. „Mr. Smith“, sagte der Chef sehr gemessen: „Sie haben die Almond-Seife bearbeitet?“ — „Jawohl“, erwiderte ich mit gedrückter Stimme. — „Sie erinnern sich, daß ich Ihnen den Artikel besonders ans Herz gelegt habe, weil diese Seife wirklich etwas Nochniedagewesenes vorstellt.“ — „Jawohl“, sagte ich, ich habe mich mit ihr eine Woche lang gewaschen.“ — „Und was“, brüllte der Chef, sich erhebend: „Was haben Sie für den Artikel getan? Nichts! Hier, sehen Sie (er hielt mir ein Zeitungsblatt entgegen) — ein banaler Mädchenkopf mitten im Schaum. Text .Venus aus dem Seifenschaum!' Herr — und damit wollen Sie den Kaufwiderstand der Menschheit niederringen? Das ist keine Reklame, das ist eine Todesanzeige!... Mr. Smith, ich kann Ihre Dienste -nicht mehr in Anspruch nehmen. Sie sind fristlos entlassen. Verlassen Sie sogleich mein Büro!“ Ich tat es, nahm hundert Dollar in Empfang und ging zufrieden pfeifend nach Hause. Dort angelangt, hatte ich eine Idee und setzte mich sogleich an die Schreibmaschine:

An den Chef des Reklamebüros...

Sir, nie hat es soviel Reklame gegeben wie heutzutage, nie aber auch so viele Reklamebüros. Wegen dieser Konkurrenz trachtet jeder Chef, seine Kundschaft aufs höchste zufriedenzustellen. Aber auch bei besten Leistungen kann es geschehen, daß ein Kunde sich beschweren kommt, kurz, den Vertrag lösen will. In diesem Fall gibt es ein sicheres Beschwichtigungsmittel: den schuldigen Angestellten vor den Augen des Kunden zu entlassen. Aber das können Sie sich nur selten leisten. Sie sind auf ein gutes Verhältnis zum Personal angewiesen. Sie hätten Scherereien mit der Gewerkschaft; es bestünde Streikgefahr. Hier springt die Sündenbock-AG. als Aushilfe ein! Wir liefern Ihnen jederzeit im Schnelldienst einen jungen Mann, der schuldbewußt in Ihr Zimmer tritt und vor den Augen des Kunden fristlos entlassen werden kann. Der Kunde fühlt sich durch diese großzügige Handlung befriedigt. Taxe 100 Dollar, während Sie eine wirkliche Entlassung das Zehnfache kostet. Anruf genügt. Komme sofort.

Hochachtungsvoll

Billy Williams Direktor der Sündenbock-AG.

Diesen Brief ließ ich vervielfältigen und schickte ihn, mit eingesetzten Namen und Adressen, an sämtliche Reklamebüros. Meine Idee schlug ein wie die Kobaltbombe. Viele Chefs hatten sich gesehnt, jemand saftig entlassen zu können, nur hatten sie kaum je die Courage gehabt. Jetzt aber prasselte es nur so von Hinauswürfen. Es gab Tage, wo ich vier-, fünfmal entlassen wurde, so daß es mir schwerfiel, zerknirscht zu erscheinen, da ich doch am liebsten aufgejubelt hätte.

Und so kam ich schön ins Geschäft. Der Beruf des Entlassenwerdens blühte. Ich begann bereits, mein Geld lose als Päckchen in der Hosentasche zu tragen, und widmete mich um so eifriger Miß Helen, die auch ihrerseits Filialen gegen Runzeln eröffnete. Ich erwähnte so nebenbei, daß ich meinen Indolenz-Virus jetzt fest am Wickel hätte, und daß sich drei pharmazeutische Firmen für den Impfstoff interessierten.

Eines Vormittags ruft mich die mir unbekannte „Advertising Company“ an — ich solle sofort zu einer Entlassung kommen. Schnell flog ich in meinem neuen Cadillac hin, denn in diesem Beruf ist Geschwindigkeit wesentlich. Kaum hatte ich mir im Vorzimmer die Schreibärmel — Symbol der Kläglichkeit — übergezogen, als auch schon das Chef-Telephon schnarrte: „Ich bitte Mr. Smith sofort zu mir!“ Als ich zaghaften Schrittes ins Allerheiligste trat und die gesenkten Augen hob, da erstarrte ich in echtem Schrecken: denn neben dem Chef saß eine junge Dame mit eisblauen Augen — kein Zweifel, Helen!

„Mr. Smith — dies ist Miß Helen Siegel, Besitzerin der weltbekannten Beauty Stores, deren Inseratkampagne ich Ihnen besonders ans Herz gelegt hatte. Miß Siegel ist mit Ihrer Arbeit keineswegs zufrieden!“ — „Na, na, na“, unterbrach ich ihn: „Es wird schon nicht so schlimm sein...“ - „Wie bitte?“ fuhr der Chef auf, setzte aber dann fort: „Was haben Sie da konzipiert? .Auch die häßlichste Frau wird bei uns schön!' — das ist psychologisch vollkommen falsch. Jede Frau hält sich für schön, Mr. Smith, merken Sie sich das! .Auch die Schönste wird bei uns schöner!' — so muß es heißen, das ist der festzuhaltende Grundgedanke. Mr. Smith, wir haben mit Ihnen lange Geduld gehabt — aber nun ist es soweit. Lassen Sie sich an der Kasse auszahlen. Ich kann Sie nicht mehr sehen.“

Aber hier bekam ich einen roten Kopf, zum erstenmal in meiner Praxis. „Sir“, sagte ich, „das ist ja unerhört: bloß irgendeinem Kunden zu Gefallen setzen Sie mich auf die Straße — mich, der Ihnen durch Entwürfe schon Hunderttausende eingebracht hat. Sie wissen selbst, daß mein Entwurf für die Beauty Stores hervorragend war; Sie haben ihn ja selber gelobt. Sie sehen hier nicht einen Lohnsklaven vor sich, sondern einen Fachmann — einen Mann! Merken Sie sich das.“

Hier wurde der Chef käseweiß und starrte auf mich, sprachlos. Er glaubte für einen Moment, daß ich wirklich bei ihm angestellt sei. Die peinliche Stille wurde von Helen kühl unterbrochen: „Ich wünsche nicht, daß dieser Mann ... Mr. Smith, meinetwegen seine Stellung verliert. Nur möchte ich meine Aufträge hinfort von einem anderen Ihrer Angestellten bearbeitet sehen. Ich will mit diesem Mr. Smith nichts mehr zu tun haben.''

„Sie können gehen, Smith“, brummte der Chef drohend. „Wir sprechen uns noch.“

Ich verließ das Büro mit den unangenehmsten Empfindungen. Wenn man dafür bezahlt wird, daß man sich entlassen laßt, und sich dann nicht entlassen läßt — so wird man eben nicht bezahlt. Doch viel schlimmer war etwas anderes: Als ich abends Helen' begegnete, blickte sie ostentativ auf ihre Lacknägel. „Darf ich ein Mißverständnis aufklären?“ fragte ich. — „Wenn es unbedingt sein muß...“ — „Miß Siegel, ich heiße Billy Williams, und nicht Smith. Ich bin kein Virusforscher, bin aber auch kein Angestellter der Advertsing Company.“

„Was sind Sie denn nun eigentlich?“

„Ich bin — in Sie verliebt. Und außerdem Direktor der Sündenbock-AG.“

„Was ist denn das für eine AG.?“

„Ein Unternehmen für Entlassungen. Ich habe nach jahrelangem Bemühen erkannt, daß ich mich am besten dazu eigne, entlassen zu werden. Es besteht eine ungeheure Nachfrage nach Entlassungen. Das ist der Wunschtraum jedes Chefs, doch riskiert er es nie — und hier springt die Sündenbock-AG. ein.“

„Und warum haben Sie heute vormittag versagt? Warum protestierten Sie?“

„Daran sind Sie allein schuld, Helen... Miß Siegel. Ich konnte einfach nicht vor Ihnen als begossener Pudel dastehen, ich konnte nicht! Alles, was Mann heißt, bäumte sich in mir dagegen auf. Sehen Sie denn nicht, daß das eine Liebeserklärung war?“

„Sie machen kuriose Liebeserklärungen, Billy. Aber diese Sündenbock-AG. interessiert mich. Was bringt sie denn ein7“

„Mindestens 30.000 Dollar im Jahr. Hier — bitte, überzeugen Sie sich aus den Unterlagen.“ Helen studierte fachmännisch die Papiere. Dann blickte sie bewundernd auf und sagte: „Das ist ja noch besser als der Indolenzvirus! Ein Mann, der sogar aus Entlassungen Kapital schlägt, hat eine Zukunft. Aber... wozu taugen Sie nun eigentlich, Billy Williams?“

„Zu Ihrem Mann, Helen, und aus dieser Stellung lasse ich mich nicht entlassen!“

„Sie sind engagiert“, flüsterte Helen.

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