6582241-1951_24_07.jpg
Digital In Arbeit

Die langweilige Party

Werbung
Werbung
Werbung

Bei Archie Schwerts Party sagte der fünfzehnte Marquis von Vanburgh, Earl Vanburgh de Brendon, Baron Brendon, Herr von den Fünf Inseln und Erblicher Großfalkonier des Königreichs Connaught, zu dem achten Earl von Balcairn, Vicomte Erdinge, Baron Cairn von Balcairn, Graf des Heiligen Römischen Reiches und Che-nonceaux-Herold des Herzogtums von Aquitanien: „Hallo“, sagte er, „ist das nicht eine widerliche Party? Was werden Sie denn darüber schreiben?“

Zufällig waren nämlich beide Herren Zeitungsreporter, Rubrik „Aus der Gesellschaft“.

„Ich gab meinen Bericht soeben telephonisch durch“, sagte Lord Balcairn. .Und jetzt geh ich, Gott sei Dank.“

„Mir fällt absolut nichts ein“, gestand Lord Vanburgh. „Erst gestern sagte meine Redaktrice, sie sei es müde, immer und immer die gleichen Namen zu lesen. Und doch: da sind sie wieder. Vollzählig. Nina Blount hat sich entlobt, aber leider ist sie kaum was für die Öffentlichkeit.“

„Ich hab ganz was Nettes zusammengebraut über Edward Throbbing in seiner kanadischen Blockhütte, die er sich mit Hilfe eines einzigen Indianers erbaute. Ich hielt das für recht günstig, denn, siehst du, ich hatte da als Kontrast Miles, der heute Abend hier als Indianer verkleidet erschien. Gut, nicht? Oder nicht?“

„Ausgezeichnet. Darf ich's verwenden?“

„Du kannst das Blockhaus haben, aber der Indianer gehört mir.“

.Wo ist er denn momentan wirklich?“

„Das weiß der liebe Gott. Im Regierungspalais von Ottawa vermutlich.“

.Wer ist denn dieses gräßliche Weib dort? Ich wette, sie ist irgendwie berühmt. Vielleicht Mrs. Melrose Ape? Ich hörte, sie soll kommen.“

Welche meinst du?“

„Die dort drüben. Neben Nina.“

„Großer Gott, nein. Die ist gar niemand. Mrs. Panrast heißt sie derzeit.“

„Scheint dich zu kennen.“

„Ja, ich kenn sie, seit ich auf der Welt bin. Sie ist nämlich meine Mutter.“

„Aber das ist ja skandalös, mein Lieber! Kann ich das verwenden?“

„Lieber nicht. Meine Familie lehnt sie ab, weißt du. Sie ist seither schon zweimal geschieden...“

„Dann natürlich nicht. Ich versteh vollkommen.“

Fünf Minuten später stand Lord Vanburgh eifrig diktierend am Telephon.

„... Orchidee, stop. Neuer Absatz. Am meisten fiel Mrs. Panrast auf — P — A — N — R — A — S — T, ja, T wie Theodor

— die frühere Gräfin von Balcairn, stop. Ihre Toiletten haben jenen maskulinen Schick, kursiv, der den amerikanischen Frauen so sehr gut liegt, stop. Ihr Sohn, Komma, der jetzige Earl, Komma, begleitete sie, stop. Lord Balcairn ist einer der wenigen jungen Männer, die ...

... Hon. Miles Malpractice war als Indianer kostümiert, stop. Er lebt gegenwärtig im Hause seines Bruders Lord Throbbing, Komma, wo das gestrige Fest stattfand, stop. Die Wahl seines Kostüms war besonders, Gedankenstrich, wie soll Ich mich nur ausdrücken, Gedankenstrich

— hallo, bleiben Sie doch am Apparat! —, ja, Komma, war besonders pikant, kursiv, da ja die letzten Nachrichten über Lord Throbbing besagen, Komma, daß dieser in Kanada eine Bretterhütte bewohnt, Komma, die er sich mit Hilfe eines indianischen Dieners eigenhändig erbaute, stop..

Miß Mouse saß da, mit Augen, die ihr fast aus dem Kopf sprangen. N i e würde sie sich an so viel köstlich prickelnde Aufregung gewöhnen! Sie hatte heute Abend eine Freundin mitgebracht — eine Miß Brown, die jüngste Tochter des Ministerpräsidenten —, denn es war um soviel lustiger, jemanden zu haben, mit dem man sprechen konnte. Wie spannend, zuzusehen, wie all das langweilige, von ihrem Vater angehäufte Geld sich in Glitzern, Lärm und blasierte junge Gesichter verwandelte! Archie Schwert, eine Flasche Champagner in der Hand, blieb im Vorübergehen einen Augenblick stehen.

„Wie geht's Ihnen, kleine Mary? Alles in Ordnung?“

„Das ist Archie Schwert“, machte Miß Mouse Miß Brown aufmerksam. „Ist er nicht zu nett?“

„Ist er nett?“ echote Miß Brown, die gerne etwas zu trinken gehabt hätte, aber nicht recht wußte, wie sie dazu gelangen sollte. „Du bist ein Glückspilz, Mary, so interessante Leute zu kennen. Zu uns kommt nie jemand.“

„Haben dir die Einladungskarten gefallen? Johnnie Hoop — du weißt ja, was für ein Geriß um ihn ist — hat sie geschrieben.“

In ihrem neuen, ungewohnten Zustand der Hochspannung hätte Miß Mouse beinahe gewünscht, kostümiert statt im Abendkleid gekommen zu sein. Die Party nannte sich „Fest der Wilden“, da ja Johnnie Hoops Einladungskarten die Gäste aufforderten, als Wilde kostümiert zu erscheinen. Viele waren diesem Rat gefolgt: Johnnie selbst zum Beispiel fn Maske und schwarzen Handschuhen kam als Maharani von Pukkapore. Die wirkliche Aristokratie jedoch, das heißt die

jüngeren Mitglieder der zwei oder drei großen Familien, die London beherrschen, trugen normale Abendkleidung. Tok-tok, klopfte Miß Mouses Herz vor Aufregung.

Miß Runcible hatte sich in ein hawaiisches Kostüm geworfen und war die. Seele des ganzen Abends.

Zwei Männer hatten eine Menge Explosivstoff mitgebracht und photogra-phierten damit. Das Blitzen und Knallen wirkte eher beunruhigend, denn jedermann schimpfte zwar auf die Reporter und auf Archie, der ihnen Zutritt gewährt, in Wirklichkeit aber wünschten sich die meisten Brennend, aufgenommen zu werden.

Adam hatte sich in eine Ecke zurückgezogen und war vor Langeweile eingeschlafen. Kurz vor dem Aufbruch traf ihn so Nina.

„Wach auf, Adam, es ist Zeit, daß wir gehen!“ sagte Nina und riß ihm einige Haare aus.

„Das ... war ... fabelhaft... Oh, Nina, hab ich geschlafen?“

„Ja. Stundenlang. Und hast direkt lieb ausgesehen dabei.“

„Nina, werd mir nicht sentimental!... Wohin gehen wir jetzt?“

Bs waren etwa ein Dutzend Leute noc da, jene Unentwegten, die es auf jeder Party gibt. Die Uhr zeigte auf drei.

„Gehen wir zu Lottie Crump etwas trinken“, schlug Adam vor.

Sie verstauten sich also alle zusammen in zwei Taxis und fuhren über den Berkeley Square in die Dover Street. Der Nachtportier im Hotel Shepheard bedeutete ihnen jedoch, Mrs. Crump habe sich soeben zur Ruhe begeben.

„Es bleibt natürlich immer das Ritz“, sagte Archie. Aber er sagte es mit einer Stimme, die zur Folge hatte, daß alle anderen „das Ritz um diese Zeit zu öd“ fanden.

Agatha Runcible wohnte nicht weit, doch bemerkte sie zu ihrem Ärger, daß sie ihren Hausschlüssel vergessen hatte. Es war klar: bald wüide irgend jemand finden, es sei Zeit, zu Bett zu gehen...

Statt dessen aber hörte man eine zaghafte Stimme atemlos fragen:

„Warum kommt ihr denn nicht alle zu mir?“

Es war die Stimme Miß Browns.

Sie zwängten sich also neuerlich in zwei Taxis und fuhren zu Miß Brown. Sie drehte in einem düsteren Speisezimmer das Licht an und gab jedem ein Glas Whisky mit Soda. Miles hatte Lust, etwas zu essen, so stiegen sie alle miteinander in eine riesige Küche hinunter, die mit Töpfen und Pfannen in allen Größen geradezu austapeziert war. Miß Brown fand Speck und Eier und briet sie für ihre Gäste. Oben im Speisezimmer gab es dann noch weiteren Whisky, und Adam schlief wieder ein.

Für Miß Brown war es ein wundervoller Abend. Mit geröteten Wangen trabte sie selig von Gast zu Gast, bot diesem eine Schachtel Zündhölzchen an, jenem eine Zigarre, einem dritten Obst von einer der enormen, vergoldeten Schüsseln, die auf der Kredenz standen. Zu denken, daß alle diese interessanten Leute, von denen sie durch Miß Mouse so viel — und wie sehr neiderfüllt! — gehört hatte, wirklich und wahrhaftig hier in Vaters Speisezimmer saßen und sie „my dear“ und „darling* nannten!

Als dann schließlich doch allgemein zum Aufbruch geblasen wurde und Miß Runcible klagte: „Ich kann leider .nicht nach Hause, denn ich hab keinen Hausschlüssel. War dir's sehr arg, wenn ich hierbliebe?“, da durfte Miß Brown — entzückt, aber so natürlich wie möglich — zur Antwort geben: „Aber im Gegenteil, Aagatha, darling, das wäre ja fabelhaft!“, was Miß Runcible ihrerseits mit einem: „Fabelhaft nett von dir“ quittierte.

Glückes genug ...

Am nächsten Morgen um halb zehn Uhr kam die Familie Brown zum Frühstück ins Speisezimmer herunter.

Die vier Töchter waren ruhige, stille Mädchen. Die vier saßen bereits um den Tisch herum, als ihre Mutter eintrat.

.Wie war die Tanzerei gestern, Jane?“ wandte sich Mrs. Brown, Kaffee ein-

schenkend, an ihre Jüngste. „War's lustig?“

„Es war einfach fabelhaft!“

„Es war was, Jane?“

„Ich meine, es war reizend, Mama.“

„Das hoffe ich. Ihr Mädel habt es wirklich gut heutzutage. Als ich in eurem Alter war, gab es lange nicht so viele Tanzereien. Während der Saison vielleicht zwei in der Woche, aber nie vor Weihnachten.“

„Mama.“

„Ja, Jane?“

„Mama... Ich hab eins von den Mädeln für eine Nacht eingeladen.“

„Gut, Jane. Für wann denn? Du weißt ja, wir haben wenig Platz.“

„Für vergangene Nacht, Mama.“

„Was für ein sonderbarer Einfall! Und hat sie angenommen?“

„Ja, sie ist hier im Haus ...“

„Ach... Ambrose, wollen Sie bitte Mrs. Sparrow sagen, sie möchte ein Ei mehr als gewöhnlich kochen.“

„Verzeihung, gnädige Frau, aber es gibt leider heute zum Frühstück keine Eier. Mrs. Sparrow konnte keine finden und vermutet, daß Einbrecher da waren.“

.Unsinn, Ambrose. Seit wann kommen Einbrecher in die Häuser, um Eier zu stehlen?“

„Die Eierschalen lagen auf dem Boden, gnädige Frau.“

„Ach so. Danke, Ambrose, Sie können gehen. — Nun, Jane, hat dein Gast alle unsere Eier aufgegessen?“

„Ich fürchte, ja ... oder zumindest... ich meine ...“

In diesem Augenblick kam Agatha Runcible hungrig zur Tür herein. Das klare, harte Morgenlicht war nicht gerade vorteilhaft für sie.

„Guten Morgen!“, grüßte sie unbekümmert. „Ich bin gerade in ein Arbeitszimmer oder so was Ähnliches hineingeplatzt. Es saß ein netter alter Knabe drin an einem Pult. War der erstaunt, als ich auftauchte! Ist's vielleicht dein Vater gewesen, Jane?“

„Das ist meine Mutter“, erinnerte Jane.

„Guten Morgen“, wiederholte Miß Runcible. „Es ist wirklich zu lieb von Ihnen, mich in diesem Aufzug zum Frühstück kommen zu lassen.“ (Man vergesse nicht; sie trug noch ihr hawaiisches Kostüm ...) „Sind Sie s i c h e r nicht wütend auf mich?

„Nehmen Sie Tee oder Kaffee?“ brachte Janes Mutter schließlich heraus. „Bediene doch deine Freundin, Jane.“ Denn im Verlauf eines langen öffentlichen Lebens war sie zur Überzeugung gelangt, daß es die meisten gesellschaftlichen Situationen bedeutend erleichtert, wenn man den Leuten etwas zu essen gibt.

Bald darauf trat Janes Vater ins Zimmer:

„Martha, etwas höchst Sonderbares ... Verlier ich denn schon ganz den Verstand? Ich sitze gerade in meinem Arbeitszimmer über meiner heutigen Rede — da geht die Tür auf und herein spaziert eine Art von halbnackter Hottentottin. ,Oh, wie peinlich', sagt sie und verschwindet und ... oh...“ Sein Blick war auf Miß Runcible gefallen. „Oh ... Guten Morgen ... Was ...“

„Sie kennen meinen Mann? ...“ stellte Mrs. Brown vor.

„Nur ein wenig ...“ sagte Miß Runcible.

„Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen“, brach Janes Vater verzweifelt eine Konversation vom Zaun. „Martha sagte mir nicht, daß wir einen Gast haben. Ich muß Ihnen ungastfreundlich vorkommen, verzeihen Sie mir, bitte. Ich bin ... ich habe ... Aber warum läßt ihr mich denn ganz allein reden ...!“

Sogar Miß Runcible fühlte die Gespanntheit der Atmosphäre und griff zur Ablenkung nach der Morgenzeitung.

„Hier steht was sehr Komisches“, sagte sie, um nur etwas zu sagen. „Soll ich's vorlesen? Hör zu.

.Die eigenartigste Party dieser Vorsaison fand wohl heute bald nach der Geisterstunde in Downing Street 10 statt. Ungefähr um 4 Uhr früh wurden die vor dem Wohnsitz des Ministerpräsidenten diensttuenden Polizisten staunende Augenzeugen der Auffahrt einer langen Reihe von Taxis, denen höchst animiert' — ist das nicht zu lustig? — ,eine fröhliche Schar in exotischen Maskenkostümen entstieg.' Oh, wie gern ich die gesehen hätte, kann mir so ziemlich vorstellen, in welchem Zustand sie waren!

,Die Gastgeberin dieses aufsehenerregenden Festes war niemand anderer als Miß Jane Brown, die jüngste der vier anmutigen Töditer unseres Ministerpräsidenten, Honourable Agatha ...' Das ist aber doch wirklich sehr interessant ... O mein Gott!“

Plötzlich ging Miß Runcible ein Licht auf. „O mein Gott!“ sagte sie und ihr Blick wanderte rund um den Brownschen Frühstückstisch. „Das ist doch wirklich zu arg von Vanburgh. Immer macht er solche Sachen. Wir sollten ihn klagen, damit er seinen Posten verliert. Würde ihm recht geschehen, finden Sie nicht, Sir James? Oder nicht?“

Miß Runcible hielt inne. Wieder begegnete ihr Blick dem der Familie Brown.

„O mein Goft, das ist ja wirklich zu unwahrscheinlich...“ stieß sie noch hervor, drehte sich um und verließ — äquatoriale Blumengehänge hinter 6ich herschleppend — fluchtartig den Raum und das Haus, sehr zum Gaudium und Nutzen der unzähligen Reporter und Pressephotographen, die das historische Eingangstor bereits belagerten.

Aus: „ ... aber das Fleisch ist schioach* Aus dem Englischen übersetzt von Hermen von Kleeborn. Verlag Herold, Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung