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Die „gute alte Zeit"

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Der nostalgische Seufzer von der guten alten Zeit, oft gehört und niemals ernst genommen, schien mir immer nur eine Erinnerungstäuschung zu sein, eine emotionale Verteidigung des Gewesenen und eine, wenn auch ziemlich hilflose Strategie gegen das Heimatloswerden durch zu viel Veränderung. Nun denke ich selber an die gute alte Zeit zurück, an damals, als die Kinder noch ihre gesamte Freizeit im Freien verbrachten, laut und lebhaft wie ein Spatzenschwarm. Sie spielten und tobten in den Gärten bis zum Einbruch der Dämmerung. Wenn sie endlich ins Haus kamen mit Apfelgesichtern und Bärenhunger, waren sie müde und zufrieden. Es kostete die Eltern keine Überredungskünste, sie ins Bett zu bringen. Entspannt wie kleine Katzen schliefen sie ein.

Sonne und frische Luft waren Lebenselixiere. Besseres konnte man den Kindern für ihre Entwicklung nicht bieten. Während der großen Ferien wurden sie von Woche zu Woche sichtbar kräftiger, die Haut gebräunt, die Muskeln gestärkt. Sie wurden geschickter, robuster und ein wenig verwildert - kleine Naturgeschöpfe. Lang, lang ist's noch nicht her.

Dann kam die Fernsehzeit mit Non-stop-Programm rund um die Uhr. Und der Kampf der Eltern, dennoch ein Stop zu erzwingen, setzte ein. Die kindliche Bewegungslust erwies sich der Schaulust unterlegen. Der Garten lockte nicht mehr. Die kreative Spielfreude war dahin. Die Eltern hatten schwere Zeiten mit endlosen Diskussionen durchzustehen, um die Zeit der Kinder einzuteilen, daß Lernen

und körperliche Bewegung nicht zu kurz kamen. Täglich waren sie bemüht, Haltungs- und Augenschäden, Eß- und Schlafstörungen, Konzentrations- und Gedächtnisschwäche der Kleinen in Grenzen zu halten. Andererseits sind auch Eltern nur unvollkommene Menschen, und oft war die Versuchung zu groß, vom Femseher als Babysitter Gebrauch zu machen, der jederzeit Wort- und Bewegungslosigkeit des Kindes bewirken konnte. - Nicht unähnlich dem Einsatz des Mohnzuzeis vor 100 Jahren. Der Bildschirm wirkt sich nicht ganz so verblödend aus, eine Droge ist er aber auch.

Das „richtige" Spielzeug

Um den Bewegungsmangel auszugleichen, wird das Kind unserer Wohlstandsgesellschaft in einen Sportkurs geschickt, am besten in einen Kurs zum Erlemen exotischer Kampf- und Selbstverteidigungsdisziplinen, damit es seine durchs Femsehen verursachten Ängste und Aggressionen besser verkraftet.

Inzwischen aber, und deswegen gedenkt man ja der guten alten Zeit, ist alles entscheidend anders geworden. Das Herumtoben in einem sonnigen Garten, vor kurzem noch der Inbegriff des Normalen und Richtigen, ist zu einer Gesundheitsgefahr geworden. Wie gut, daß sich die Kinder gegen den Willen der Eltern rechtzeitig zu Stubenhockern entwik-kelt haben. Sie bewiesen Instinkt fürs Überleben. Wenn die Ozonwerte bei Schönwetter gefährliche Ausmaße annehmen, wissen die Eltern ihren Nachwuchs vor dem Bildschirm gut aufgehoben. Der Computer wurde zur genau richtigen Zeit als Spielzeug erfunden.

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