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Die Macht der Masse

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Päpste, Könige und Konservatoriumsdirektoren sprechen von sich, wenn sie Reden halten, Briefe schreiben und Anweisungen verfassen, in der Mehrzahl. Ich habe diese grammatische Eigenheit, auf die sich jene beziehen, bei den Ovids, Casars und Vergils meiner Schulzeit als Plural der Majestät kennengelernt, und wiewohl mir damals nicht besonders einleuchtend erschien, daß ein Potentat nicht allein kraft seines Amtes respektheischend erscheinen konnte, sondern sich zusätzlich auch noch einer seltsamen, gar nicht vorhandenen Vervielfachung seiner selbst bedienen mußte, nahm ich diese sprachliche Absurdität fürs erste hin.

Immer mehr aber und ganz besonders auf Reisen erkenne ich den tieferen Sinn dieser Vorgangsweise.

Der in letzter Zeit in den Ratgeberecken der Zeitungen etwas in Vergessenheit geratene Einzelmensch, vor Jahren mit dem bis dato den Kleinschallplatten vorbehaltenen Namen Single versehen, hat nämlich, bekennt er sich im voraus ausdrücklich zu seiner Einzahl, in Hotels, Gasthöfen und Restaurants nichts zu lachen.

Herbergen aller Kategorien stecken ihn, den Aussichts- wie Badezimmerbegehrenden, in dunkle Hinterhofkemenaten mit Kalt- und Warmfließwasser, aber ohne Telephon, dafür mit akustischem Direktanschluß an den Motorraum des Hotelaufzugs. Speiselokale weisen ihm, soferne sie

Tischbestellungen singulär auftretender Gäste überhaupt annehmen, Abstellbrettchen in Eingangs- oder WC-Nähe zu, die Kellner strafen den Essenswilligen lange Zeit durch Ignorieren, nehmen Bestellungen indigniert entgegen und erledigen sie mit beabsichtigter Verspätung.

Der in seiner Außenseiterrolle ohnehin Entnervte wird psychisch weiter gedemütigt, ins Ausgedinge der Gesellschaft gedrängt und in der Hackordnung derselben auf die unterste Stufe verbannt.

Für das nach ihm benannte Schlafwagenabteil muß der Single, obwohl nur ein Bettzeug beschmutzend und dem Schaffner weit weniger Sorgen bereitend als manche mit ihm reisende Double-Insassen, gleichviel bezahlen wie diese, in Flugzeugen sitzt er auf Plätzen C oder E nie am Fenster, sondern am Mittelgang. Und, des kleinen Greißlers, der ihn vielleicht, selber möglicherweise alleinstehend, noch umsorgt hat, in der Ära der Supermarktketten entbehrend, begibt sich der Einzelmensch in den Regalen der Kaufhäuser vergeblich auf die Suche nach Waschmittel-, Tafelöl- oder Frühstücksmüslipak-kungen, die sich nicht am Verbrauch von Großfamilien oder Häuserblocks orientieren.

Der aufgrund erstrebter oder schicksalhafter Umstände monodisch Auftretende hat demnach nur eine Chance: er nimmt Zuflucht zum Plural. Zwar beschert ihm dies keine kleineren Konserven oder wohlfeilere Schlafwagenabteile. Doch das Schnippchen kann geschlagen werden, wo Gastronomie der Vielzahl und nicht dem Subjekt huldigt.

So bestellt der Solist Zimmer für zwei Personen und Tische für drei. Im Hotel angekommen, bedauert er, zwecks Verhinderung der Gattin, des Gatten, der Freundin oder des Freundes das reservierte Zweibettzimmer leider und doch hoffentlich zum Einbettzimmertarif nun lediglich allein beanspruchen zu können, im Restaurant wartet er der Form halber einige Minuten ungeduldig an der für zwei nicht erscheinen Wollenden zusätzlich gedeckten Tafel, um dann — vorläufig, wie er vorgibt - allein mit dem Essen zu beginnen.

Die Welt, unfreundlich wie sie ohnehin ist, will also betrogen werden. Der Einzelmensch muß sich, da er als solcher auftretend von seiner Umgebung zum Halbstarken degradiert wird, stark machen, indem er Masse vortäuscht. Beim Triumphmarsch der „Aida“ rennen in den meisten Opernhäusern die als Krieger einziehenden Statisten fünfmal hinter den Kulissen im Kreis, um dem Publikum ein gewaltiges Heer vorzugaukeln. Im Spiegelsechseck des Kaleidoskops vervielfachen sich die bunten Glassplitter zu einer eindrucksvollen symmetrischen Figur. Im Fremdenverkehr dominiert der Gast von der magischen Zahl zwei aufwärts.

Ich habe die alten Lateiner im Verdacht, daß sie den pluralis maiestatis aufgrund der Erfahrungen und prägenden Erlebnisse mit Ein- bis Sechssternhotels erfunden haben.

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