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Ein Appell an die Menschlichkeit

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Joachim Riedl beschreibt es, dieses Österreich zwischen Genie und Gemeinheit, jenes Österreich, das mit dem großen (und so heroisierten) Land, das die k.u.k. Monarchie darstellte weniger als wenig zu tun hat. Zwar denken unsere Baukünstler und Architekten noch in großstaatlichen Dimensionen, bauen, als ob ein Riesenreich seine Metropole verschönern wollte, aber es nützt nichts. Das Land ist klein geworden - und wird es hoffentlich auch bleiben! Klein, frei, selbständig, demokratisch und - republikanisch!

Schon klopfen die Großraumdenker wieder an die Pforten der Alpenrepublik, schon lassen sich die Steller von Ultimaten „kein Ultimatum" stellen, schon tanzen die Gespenster längst überwunden geglaubter Zeiten recht real, näselnd, glatzköpfig oder brutal und ordinär aus den Nebeln der Geschichte heraus. Eisenstadt scheint nicht allzu weit von Hojerswerda zu liegen, aber - die Vernünftigen, die Anständigen rücken zusammen und probieren den Schulterschluß. Parteien und Kirchen, Liberale und Tolerante reichen sich die Hände. Zögernd zwar, sogar nicht ganz freiwillig, aber (anders als 1938!) der Not gehorchend.

In Deutschland wird der Bundespräsident nicht nur verbal attackiert, der Kanzler - von seinen bayerischen Koalitionsfreünden im Stich gelassen - mit Steinen beworfen, der Ex-SP-Chef zu Boden gerissen. SA marschiert wieder! Auch in Rot. Bei uns steht (auch anders als 1938) der alte vielgeliebte Kardinal und Alterzbischof von Wien wie ein Fels in der Brandung, der vergleichsweise junge Kanzler spricht in Eisenstadt aus, was endlich zu sagen war, und am liberalen Kurs seines Vize ist nicht zu zweifeln. Vernunft? Anständigkeit setzt sich durch!

Wenn auch in der Steirermetropole die „Schlagenden" wieder stärker ins Licht treten - das muß kein schlimmes Zeichen sein. Jede Zeit hat ihre Form. Das Amtskappl wird immer mehr zur Zipfelmütze, wenn es auch Ausnahmen gibt wie den Polizisten Nr. 577 in Graz, der - frech sein ist das Vorrecht der (auch beuniformten) Jugend - mir steinernen Gesichtes sagte: „Ihnen hätt' ich für gescheiter gehalten." Ich das Wacheorgan auch. Also sind wir quitt!

Inzwischen ist es weihnachtlich geworden in den Geschäften und Auslagen. Der Advent tastet sich an den Heiligen Abend heran - Zeit des Schenkens. Derjunge Regisseur Franz Morak zum Beispiel schenkt dem Wiener Publikum die große Judith Holzmeister wieder, in einem recht spielbaren Stück steht sie zusammen mit den hinreißenden Kolleginnen Gertraud Jesserer und Sylvia Lukan endlich wieder auf der Bühne. Weihnachten schon im November!

Zeit des Schenkens, habe ich gesagt? Es wäre Zeit, die Zeit des Teilens anbrechen zu lassen. Wenn wir uns freuen in unseren geheizten Häusern zu sitzen, wenn draußen der Regen niederprasselt, der Sturm heult, der Schnee knirscht oder der Frost klirrt, so ist es ein Gebot der Menschlichkeit, jene nicht zu vergessen, die unschuldig und hilflos frierend in Krankenhäusern auf schmierigen Laken unter dünnen Decken liegen müssen, die barfuß im Schnee stehen und ihre Hände nach einem Stück Brot ausstrecken. Kurden, bosnische Moslems, Frauen, Kinder und Greise. An jene zu denken, die, wie seinerzeit unser Volk, aufgehetzt, verführt und gezwungen, Waffen zu tragen, Krieg spielen und dafür mit dem Tod bestraft werden. Aus der „Kristallnacht" von 1938 wurden die klirrenden Eisnächte von Stalingrad, aus der Nacht der brennenden Synagogen und Bücher die Gluttage von El Alamein. Es hat keinen Sinn den Kopf zu schütteln und zu versuchen, auch in die Riege der Vergeßlichkeitsartisten einzutreten. Böses war gesät, Böses wurde geerntet. Mußte geerntet werden.

Weihnachten 1992! Kerzenschimmer, Weihrauchduft, Tannengrün und Kinderlachen. Gegönnt! Aber dahinter lauert die Frage - wie lange noch? Was ist zu tun, damit dieser heute geborene Heiland nicht auch seinen Karfreitag erdulden muß? Christ sein gläubig, fromm sein? Das sind Wege, Wege zur Menschlichkeit. Es gibt aber auch andere, für jeden begehbare. Gib, teile, schenke. Nicht nur Geld, das Dein Gewissen loskauft - gib Güte, schenke Milde, teile Verständnis aus. Sei Mensch, im wahren Sinn des Wortes. Dann wird Weihnachten sein in der Welt und vor allem in Dir. Daß es so sein möge, wünsche ich mir, Euch und den Menschen, wo immer sie leben, feiern, leiden, glauben, sich fürchten und - hoffen.

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