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Eine Stadt hat viel zu erzählen

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Unter den zahlreichen Büchern zum olympischen Münchner Jahr nimmt der Band des Leiters der Monacensia-Sammlung der Münchner Stadtbibliothek einen Sonderplatz ein. Ein Urmünchner und hervorragender Sachkenner erzählt da kurzweilig und launig von den Bürgerhäusern, den Bauwerken, Straßen, Plätzen, Gärten, bevölkert sie mit unzähligen Gestalten und belebt sie mit anekdotischen Histörchen. Fast an die tausend Namen (laut Personenregister) bringt er in den

76 Kapiteln des gar nicht dickleibigen Bandes unter. Die Buchreise beginnt mit der Siedlung „Munichen“ (das heißt „bei den Mönchen“) unter dem mächtigen Weifenherzog Heinrich dem Löwen und mit der Urkunde seines kaiserlichen Vetters Friedrich Barbarossa vom 14. Juni 1158, der eigentlichen Geburtsurkunde der Stadt München, und endet mit dem Atomreaktor bei Garching, im Volksmund „Atom-Ei“ genannt, mit der brandneuen U-Bahn, mit dem Großstadion und der Stadt Olympia auf dem Oberwiesenfeld, auf dem Bauarbeiter aus 23 Nationen eingesetzt sind.

Wie jeder „richtige“ Münchner (sie bilden in der Flut der „Zuagroasten“ bereits eine kümmerliche Minderheit) übt der Autor eher Zurückhaltung; er mehrt nur indirekt das Allerweltslob über die „Zauberstadt“ unter dem windigen, blau-weißen Himmel mit ihrem eigentümlichen, fast pittoresken Menschenschlag und seiner Liberalität; er hält sich fern von jener Schwärmerei wie etwa der von Amerikas größtem Erzähler Thomas Wolfe, für den München „eine Art von deutschem Paradies“, „einen großen, deutschen, ins Leben übersetzten Traum“ verkörperte, auch wenn sie ihm dort gelegentlich einer bierseligen Rauferei auf der Oktoberwiese fast den Schädel eingeschlagen hätten. Ergiebig die Manier des Schilderns und Erzählens, das die „leuchtenden und düsteren“, die Licht- wie die Schattenseiten Münchens umfaßt, vom Historischen, Althergebrachten ausgeht und ein paar Seiten weiter mitten in die aktuellste Gegenwart mündet. So beginnt etwa, um ein Beispiel zu geben, das Kurzkapitel über die „Trauminsel“ der Millionenstadt, den „Englischen Garten“, mit der Schilderung des weißen Marmorjünglings am Eingang, wo auf einer Tafel zu lesen steht: „Harmlos wandelt hier! Dann kehret neugestärkt zu jeder Pflicht zurück!“ Die Münchner lieben ihren „Harmlos“, denn, so kommentiert der Autor ihre Lieblingsfigur, „der harmlose Knabe verkörpert auf seine Art ein echtes Stück Münchnertum, das gar keine so rauhe Schale hat — nur etwas spröder Marmor bleibt nach außen spürbar'“. Der Schlußabsatz des Kapitels gilt jedoch bereits der großen Computerzentrale der Bayrischen Vereinsbank am Rand des Englischen Gartens. So ergibt sich ein natürliches Nebeneinander des gemächlichen, auf Behaglichkeit versessenen

ätadt München, so verträgt sich der anekdotenhafte Vermerk über die rein zufällige, der Not entsprungenen Findung der schmackhaften Münchner Weißwurst oder die Schilderung des Hofbräuhauses (wo „Mitglieder aller Gesellschaftsschichten ihr Maß getrunken haben“) und der East einer lokalen Nationalhymne gleichkommende Schlagertext: „In München steht ein Hof bräuhaus; eins, zwei, gsuffa ...“ ganz gut mit Zitaten aus einer fulminanten Festrede des Nobelpreisträgers Werner Heisenberg. Einige Kapitel, zum Beispiel das über den „Synagogenplatz“ oder über „Die Ludwig-Maximilians-Universität“ am heutigen „Geschwi- , ster-Scholl-Platz“, bieten Gelegenheit zu politischen Randbemerkungen. Zu , Recht kommentiert der Autor, daß München einmal nicht nur die .Hauptstadt der Bewegung“, sondern auch die „Hauptstadt der Gegenbewegung'“ gewesen ist.

Zahlreich die Hinweise auf die Dichter, die bildenden Künstler und Musiker, die hier ihre Muse fanden. Wie hübsch, wenn auf der Bronzetafel an dem Neubau, der sich auf Jer Stelle des ausgebombten Mozart-Hauses befindet, nach dem Text über Aufenthalt und Vollendung der Oper „Idomeneo“ der Satz zu lesen steht: ,Die ihr hier vorübergeht, gedenkt seiner und seiner Musik.“ Ein solches Buch mit gut reproduzierten, liebenswerten Stichen kann man nicht nur ;o lesen, man muß darin schmökern — und das mit viel Vergnügen. (

Die rühmlich bekannten „Merian“-Monatshefte wurden durch ein besonders aufwendiges dickleibiges . Heft (236 Seiten) über München und seine Olympiade vermehrt. Ein um- . fangreicher Bildteil in Farbe und in Schwarzweiß mit dreisprachigen Texten ergänzt die zahlreichen Beiträge. Großzügig räumte man den Ehrenplatz für den einleitenden Artikel „Mit München leben“ keinem Urbayern, sondern dem „Mainpreußen“ Horst Krüger ein, für welche Courtoisie sich die Redaktion mit der Witzecke „So kloa — und scho a Preiß“ wohl ein wenig zu entschädigen suchte. Aus Krügers Beitrag seien zwei besonders geglückte Stel-sen wiedergegeben: „Die Stadt ist zu glücklich, zu schön für Deutschland; und das bedeutet, daß man sich dauernd rechtfertigen und verteidigen möchte — anderswo.“ — „Adolf Hitler — ein Österreicher, der aus München kam. Das möchte man doch auch gern erwähnt wissen als Restdeutscher. Man möchte der Stadt so gern etwas Schlechtes ins Stammbuch schreiben. Geht das?“

Beachtlich der Beitrag von Alexander Mitscherlich, worin er am Beispiel der Entlastungsstadt München-Perlach für 80.000 Einwohner Argumente für eine Sozialphilosophie des Bauens, für eine menschenwürdig geplante Stadt entwickelt. Trefflich die Kurzgeschichte „Auch eine Krankheit zum Tode“ von dem aus Bozen stammenden Herbert Rosendorfer, die den berüchtigten Münchner Föhn zum heiter-tragischen Thema hat. „Der bayrische Amtsrichter Rosendorfer'“, heißt es im Vorwort, „ist kein Müncher Dichter, sondern eine nur zwischen Isar und Etsch denkbare Spielart des poeta austriacus.“ Das Heft — durch seinen informativen Teil für in- und ausländische Besucher gewiß von Nutzen, gefällt, und daran kann auch der gar zu üppige Reklameteil nichts ändern.

EINE STADT ERZÄHLT: MÜNCHEN — LIEBLING DER MUSEN. Von Ludwig Hollweck. Paul-Zsolnay-Verlag, Wien Hamburg. i07 Seiten, 32 Abbildungen. S 185.—. MERIAN, Heft 121XXIV. Hoff man und Campe Verlag, Hamburg. 236 Seiten.

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