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Einste Warnung

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Der Tag, an dem ich eine meiner staatsbürgerlichen Pflichten zu erfüllen habe, rückt in greifbare Nähe. Ich werde wählen, ich hab's mir vorgenommen, und sei's auch nur das relativ kleinste Übel. Und die Parteien wissen das und bestür- men mich in diesen letzten Tagen wie nie zuvor.

In bunten Farben der Prospekte, nicht immer sind's jene des Herb- stes, ist meine Wohnungstür be- hängt, aus den Radio- und Fernse- happaraten tönen und starren mir die Empfehlungen entgegen, der Briefkasten geht über, die zumin- dest dafür noch tauglichen Bäume halten Dreieckständer mit Parolen, und freundlich oder staatsmän- nisch, mitunter auch etwas hilflos blickende Politiker beobachten mich von den Plakatwänden her- unter. Sogar an die Tür wird bis- weilen geklopft.

Ob ich denn wisse, was sie - nein: nicht sich, das Rückbezügliche kommt ja leider auch dort, wo's hingehörte, wie bei unterhalten, entspannen, wohlfühlen, immer mehr aus der Mode - was sie also so geleistet haben (sie sagen „hätten", weil sie des richtigen Konjunktivs nicht fähig sind, liegen damit aber richtig, allerdings ohne nachfolgen- den Konditionalsatz, der unbedingt mit „wenn" beginnen müßte) in den letzten Jahren.

Danke, ich weiß es, ich wäre schön blöd, würde ich mich erst jetzt darüber informieren, was ja so viel hieße, als daß ich mich informieren lassen müßte, was ja schon wieder impliziert, daß der jeweiligen In- formationsquelle eine Portion Subjektivität anhängt. Aber wenn schon Subjektivität, dann bitte meine eigene.

Womit ich endlich da bin, wo ich hinwill, nämlich bei einer ernsten Warnung an die Damen und Her- ren, die mich noch im letzten Moment auf ihre nicht immer grüne Seite ziehen wollen.

Herrschaften, seid vorsichtig. Ich liebe es, in meinen vier, nein, es sind mehr, aber man sagt so, in meinen vier Wänden also Beschauliches und Sonstiges, jedenfalls aber mir Ge- nehmes zu tun, das ich außerhalb nicht unbedingt tun will oder kann. Und da, geschätzte Wahlwerber, will ich von euch nichts sehen, hören, wissen.

Wer mir also in die akustische Quere kommt, während ich der Introduktion zum Kaiserwalzer lausche oder aber dem Simon und dem Garfunkel und ihrer Bridge Over Troubled Water oder dem zweiten Klavierkonzert von Saint- Saens oder einer balinesischen Gamelanmusik, wer an die Tür hämmert, während ich Narziß und Goldmund oder die Merowinger lese, wer mich vom Tisch aufstehen heißt, während ich eingebrannte Erdäpfel oder Apfelradeln esse oder einen von mir in Flaschen nach Haus geschleppten Heurigen des Hauers T. aus Gumpoldskirchen trinke, wer mich brutal vom Schreibtisch zu zerren versucht, wenn mir gerade die spannendste Stelle für meine nächste Funkerzählung einfällt, der muß damit rechnen, daß auf mei- nem amtlichen Stimmzettel der Kreis neben seiner Parteibezeich- nung unangekreuzt bleibt.

Es mag schon sein, daß für derlei Rücksicht viel Feingefühl notwen- dig ist. Aber einmal in vier Jahren darf ich das hoffentlich verlangen. Und ich darf es nicht nur, ich tu's auch.

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