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Erinnerungen an Anno Dazumal

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Eine Apotheose des Walzers sollte es werden - eine Gala des Wiener Staatsopernballetts, aufgeputzt mit internationalen Gästen, um einmal allen schwelgerischen Glanz der Walzerkunst zu zeigen. Doch ein bißchen Pech spielte mit. Lynn Seymour, die Isidora Duncans berühmte Walterparaphrasen tanzen sollte, erkrankte. Ersatz dafür gab es nicht. Lediglich Michail Fokines berühmten „Geist der Rose“ konnte man retten, und zwar mit der 26jährigen argentinischen Liliana Belfiore, Ballerina des London Festival Ballet, die von Londoner Kritikern zum besten „Newcomer“ gewählt wurde; und mit dem Budapester Solisten Imre Dozsä. Und damit das Monsterprogramm nicht zu kurz ausfiel, wurde auch noch Elisabeth Leonskaja, die profilierte junge Russin ausgewählt, zur Einstimmung auf dem Flügel fünf Chopin-Walzer aufzuspielen …

Eine Gala, die durch solche Umstände jedenfalls wie ein seltsames Durcheinander wirkte, denn Fokines „Les Sylphides“-Prelude und Walzer mit Liliana Belfiore und Imre Dozsä wollte zum übrigen Programm überhaupt nicht passen, war nach den Klavierwalzern völlig fremd. Die Belfiore eigenartig kalt, ohne Ausstrahlung. Solide Technik - tiefgefroren. Und dazu Imre Dozsä geradezu unpersönlich. Danseur noble ohne Farbe. Das änderte sich allerdings auch nicht bei Fokines Pas de deux „Der Geist der Rose“, der so unanimiert und bar jeden Zaubers wirkte, daß sich wohl mancher im Publikum gefragt haben muß, was denn an diesem Ballett 1911 in Monte Carlo so berühmt, so aufregend, ja sensationell gewesen sein soll. Vor allem die schwerelose Tanztechnik, die Vaclav Nijinski, der Superstar von einst, damit kreierte, schien hier in etwas plumpe Pantomime verwandelt. Nostalgie, allen Zaubers entkleidet…

Erst der Walzer und das „Russo“-Fi- nale aus Balanchines „Serenade“, getanzt vom Staatsopemballett, brachte Schwung in den mühevollen Anlauf. Dank der Dynamik des jungen Teams mit Gisela Cech, Gabriele Haslinger, Marialuise Jaska. Blieb als eigentli ches Ereignis die Aufführung dreier Strauß-Walzer mit Grete Wiesenthals einst berühmter Choreographie, die von Wilma Kostka und Erika Kniza mit großer Akkuratesse einstudiert wurde.

Und das war denn nun eine Überraschung: Da blieb Nostalgie nicht historisches Ereignis aus dem Lehrbuch des Tanzes. Da fingen Lilly Scheuermann und Michael Birkmeyer, Susanne Kimbauer, Judith Gerber und ein Damenteam einiges von der „tänzerischen Befreiung“ ein, die die Wie- ‘Senthal einst propagierte. Im Serpentinenwogen seidener Glockenkleider, im befreiten Wiegen im Dreivierteltakt, in den großen Gesten, die bald prangende Festlichkeit ausdrücken, bald intimstes Glück einfangen, spürte man die Eigenart dieses sinnlichen Tanzstils schwingen, der gerade zu Walzern wie „Wiener Blut“, „Wein, Weib und Gesang“ und „Rosen aus dem Süden“ paßt. Letztes Ausschwingen von Ringstraßenherrlichkeit, Erinnerungen an Klimt, an Eurhythmie und an - Sigmund Freud!

Balanchines „Liebeslieder-Walzer“ rundeten den Abend.

Es war das Ende der Festwochen 1977 - und, so steht zu befürchten, auch das Ende einer -Konzeption von den Wiener Festwochen, einer mit dem Namen Ulrich Baumgartner verbundenen Ära, und es war gerade der Publikumserfolg des Ballettfestivals, der bewiesen hat, daß es in Wien sehr wohl eine tragfahige Publikumsschicht gibt, die nicht nur künstlerische Qualität, sondern vor allem auch das Neue zu schätzen weiß.

Daß, wenn das eine wie das andere fehlt, das Publikum nur lustlos kommt, haben wir auch heuer wieder gelernt. Beim Musikfest im Konzerthaus, wo vieles doch eher nach Konzertalltag aussah denn als Festival; in den Theatern, die sich phantasielos gebärdeten wie schon lange nicht; in den Opernhäusern, die nach dem Höhepunkt der Karąjan-Stagione in Durchschnittlichkeit wateten. Bleibt zu hoffen, daß Gerhard Freund die Bilanz dieser Erfahrungen gründlich studiert.

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