7000702-1987_24_11.jpg
Digital In Arbeit

Es war der 12. März ’38

Werbung
Werbung
Werbung

Als 1938 über Österreich die Hakenkreuzfahne gehißt wurde, ging mehr verloren als nur die politische Selbständigkeit. Gerade deshalb ist der Versuch' einen fließenden Übergang vom Ständestaat zur Nazi-Diktatur zu konstruieren, eine sehr gefährliche Geschichtsfälschung.

Achtung, Gostner hat eine Pistole! Beim geringsten Zeichen von Widerstand sofort schießen!“ Ich stehe im Schlafanzug hinter der Wohnungstür und höre erschreckt diese geflüsterten Worte. Durch ein kleines Fenster erspähe ich in dem vom Schein einer trüben Lampe erhellten Hausflur mehrere Zivilisten. Sie tragen Hakenkreuzarmbinden und halten schußbereite Pistolen in den Händen. Einer schlägt mit der Faust gegen die Türe: „Aufmachen!“

Es ist der 12. März 1938, wenige Stunden nach den Abschiedsworten des Bundeskanzlers Schuschnigg. Er muß der Gewalt, die ihm der Deutsche Reichskanzler und Führer der Nationalsoziali-

sten entgegensetzt, weichen. Es gibt kein unabhängiges Österreich mehr. Die illegalen Parteigänger Hitlers haben freie Bahn. Sie veranstalten ihre „Nacht der langen Messer“, von der so mancher SA-Mann seit langem träumte. Und SA-Männer von dieser Sorte stehen in diesem Augenblick vor meiner Tür. Sie suchen mich...

Ich werde beschimpft und geschlagen. Einer stößt mich die Treppe hinunter. Ich zerschlage mir dabei Hände und Knie. Unten empfangen mich zwei weitere SA-Männer, die hier Wache stehen. Sie bringen mich ins Polizeigefängnis. Vorbei an traurig brennenden Straßenlaternen geht der Weg. Sie gleichen erlöschenden Sternen. Dann fällt eine Türe hinter mir zu. Ich bin ein Gefangener.

In dieser Nacht wurden in Hall noch Graf Stolberg zu Stolberg, Magistratsdirektor Ernst von Verdroß, Polizeiinspektor Coraz- za, Stadtarzt Dr. Schumacher und andere verhaftet. Ich hatte eine solche Aktion der SA nach Lage der Dinge befürchtet, aber eine schwere Kiefervereiterung lähmte meine Entschlußkraft. Auch jetzt noch fühle ich das Fieber in meinen Pulsen rasen und eine starke Benommenheit.

Trotzdem habe ich einen Schock bekommen, als ich vor dem. Gefängnis den Gendarmeriekommandanten von Hall mit der Hakenkreuzarmbinde sah. Er hatte die Meldung von meiner Verhaftung erhalten, mich jedoch keines Blickes gewürdigt. Dieser Mensch kennt als einziger meine Tätigkeit als Erhebungsbeamter der Sicherheitsdirektion. Nun können keine Ausreden mehr helfen. — Im Laufe der nächsten Stunden habe ich »Gelegenheit, meine Situation gründlich zu überdenken. Wie bin ich in diese Lage geraten und was habe ich zu erwarten?

So gut es bei meinem angegriffenen Zustand gehen will, forme ich mir ein Bild von den Ereignissen der letzten Zeit. Seit den Berchtesgadener Besprechungen zwischen Hitler und Schuschnigg befand sich Österreich in einem politisch stark zerrissenen Zustand. Seitdem Hitlers Wille, den Anschluß mit Gewalt in kurzer Frist durchzuführen, offen zutage getreten war, wurden die illegalen Nationalsozialisten immer dreister. Eine Flut von Agenten und Propagandamaterial ergoß sich über die Grenzen. Auch Waffen wurden eingeschmuggelt. Es hagelte Angriffe gegen die Staatsgewalt, in deren Dienst ich stand und für die ich als vaterländisch gesinnter Österreicher und Antinationalsozialist meine Pflicht tat.

Ich war der Überzeugung, daß dieser Anschluß Österreichs nur Unheil über mein Vaterland bringen konnte, und stand deshalb als Beamter des politischen Referates der Sicherheitsdirektion an maßgeblicher Stelle im Abwehrkampf gegen den illegalen Nationalsozialismus. Ich hatte Sprengstoffanschläge auf Brük- ken verhindert und aufklären helfen. Das Land litt schwer unter der Wühlarbeit der Illegalen, deren wahnwitzige Taten jeden guten Österreicher empörten. So die verbrecherischen Anschläge auf die Trisannabrücke bei Landeck in Tirol und den kurz darauf passierenden D-Zug und auf die Geleise bei Rattenberg, der Mord an Polizeihauptmann Hickl, der am 25. Juli 1934 in Innsbruck von einem Nationalsozialisten erschos-

sen wurde, oder die Fememorde der Legionäre an einem Professor in Kufstein und einer Wienerin. Bei Kufstein hatte auch ein SA- Mann, der mit Propagandaschriften über den Inn geschwommen war, zwei diensttuende Heimwehrpolizisten erschossen. An seiner Verfolgung "hatte ich mich beteiligt. War ich deswegen verhaftet worden?

Ich selbst war bis zu meiner Verhaftung dreimal einem Überfall ausgesetzt. Zuletzt hatte mich ein SA-Mann beim Skifahren abgepaßt und angeschossen. Der SA-Mann Gerstgrasser, der auch jetztbei meiner Verhaftung dabeigewesen war und, mit meiner Verfolgung beauftragt, zu diesem Zwecke mit einer Pistole ausgerüstet wurde, hatte mich in der Wohnung meines Freundes Zimmermann, dessen Familie ihm bekannt war, ausfindig gemacht. Er und ein Kaminkehrer, ebenfalls ein Illegaler, der mich bei Zimmermann sah, hatten meine Verhaftung veranlaßt.

Mit gemischten Gefühlen höre ich die Heilrufe in meine Zelle dringen, mit denen die irregeleitete Bevölkerung das neue Regime begrüßt. Ich hoffe auf das Eingreifen einer ausländischen Macht. Denn das ist mir klar: nur Gewalt kann dieses gewalttätige Vorgehen gegen Österreich abstoppen. Doch diese Hoffnung sollte trügen. Jene Großmächte, die hätten eingreifen können, warteten einen geeigneteren Zeitpunkt ab.

Das österreichische Volk aber stand machtlos diesem Ansturm der Nationalsozialisten gegenüber. Es fanden sich viele Mitläufer, deren Patriotismus für eine Sache mißbraucht wurde, welche die Allgemeinheit bald in namenloses Unglück stürzen sollte. Aber ich erfahre auch, daß es aufrechte Männer gibt, die in diesem Taumel politischer Leidenschaften ihren gesunden Menschenverstand behalten...

Gegen 18 Uhr holen mich zwei SA-Männer und ein Gendarmerie-Beamter ab. Sie bringen mich ins Bezirksgefängnis. Auf dem Weg in dieses Gefängnis werde ich von aufgehetzten Passanten beschimpft und angespuckt. Am nächsten Tag steht in der Lokalzeitung eine kurze Notiz: „Der sattsam bekannte Erwin Gostner wurde gestern in Schutzhaft genommen.“ Begründet wird die Verhaftung mit der Verördnung zum „Schutz des deutschen Volkes“.

Erwin Gostner hat seine Erinnerungen 1945 in Selbstverlag unter dem Titel „1000 Tage im KZ" veröffentlicht. Der Beitrag zitiert auszugsweise den Beginn des Leidensweges.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung