6856943-1977_19_11.jpg
Digital In Arbeit

FILM

Werbung
Werbung
Werbung

Zu den Höhepunkten der vergangenen Berliner Filmfestspiele zählte die Schweizer Produktion „Die plötzliche Einsamkeit des Konrad Steiner”, die bei diesem Festival mit den Preisen der katholischen wie auch der evangelischen Jury ausgezeichnet wurde. Damit wurden die humane Gesinnung und soziale Relevanz eines Werkes honoriert, in dem ein Schicksal repräsentativ für Abertausende steht. Dem 75jährigen Schuhmacher Konrad Steiner werden nach dem Tod seiner Frau von den Hauseigentümern, die an gleicher Stelle einen Neubau errichten wollen, Werkstatt und Wohnung gekündigt. Der noch rüstige und vitale Mann, der sich ein Leben ohne Arbeit nicht vorstellen kann, ist zutiefst getroffen. Eine junge Sozialarbeiterin, die sich für seinen Fall persönlich engagiert, will ihm helfen, eine neue Wohnung zu finden, doch Steiner wird wegen seines Alters überall abgewiesen. Er hört zumeist den guten Rat, doch in ein Altersheim zu ziehen, aber gerade das lehnt der Individualist Steiner ab. Als ihm in seinem Lebensbereich kein zufriedenstellender Weg mehr offen scheint, hebt er seine ganzen Ersparnisse in der Höhe von fast 40.000 Franken ab und fliegt in den Süden.

Der Schweizer Kurt Gloor, der bisher einige beachtliche Kurz- filhie gedreht hat, legt hier seinen ersten abendfüllenden Spielfilm vor. Er hat bewußt den offenen Schluß gewählt, um zu demonstrieren, daß er keine Lösung eines menschlichen Problems ist Es ist selten und daher um so verdienstvoller, daß sich ein Film ernsthaft der Probleme des alten Menschen annimmt der in einer Wegwerfgesellschaft nur zu gerne und zu leicht in Altersghettos abgeschoben wird, die ihm eine familiäre Geborgenheit und eine Entfaltung in produktiver Leistung niemals ersetzen können. Dabei polemisiert Gloor in keiner Weise gegen den Sozialstaat, seine Fürsorgeeinrichtungen und seine Altersklauseln. Er spielt auch entscheidende Szenen nur so weit aus, wie zum Verständnis notwendig, und erzielt mit diskreten Mitteln eine unerhört plastische, präzise Milieuschilderung.

Die spontane Wirkung wird dadurch verstärkt, daß der Streifen im Züricher Dialekt gesprochen wird, wobei dem des „Schwyzerdütsch” nichtkundigen Zuschauer hochdeutsche Untertitel als Hilfestellung geboten werden. Technisch ist dieser Debütfilm bereits eine gute Profiarbeit, schauspielerisch durch den in zahlreichen Schweizer und auch deutschen Fümen meist in Episodenrollen bewährten Sigfrit Steiner (als Konrad Steiner) ein echtes Erlebnis.

Mit beträchtlicher Verspätung kommt ein älterer, dabei sehr bekannter Film von Rainer Werner Fassbinder zu uns. ,JHe bitteren Tränen der Petra von Kant”, 1972 nach einem Theaterstück des produktiven Deutschen entstanden, fasziniert als reines Frauenstück, obzwar es bei einer Länge von gut zwei Stunden die Bühnendimension eines einzigen Raumes nie durchbricht. Erzählt wird die Geschichte einer emanzipierten, wohlhabenden Modeschöpferin, die einen Mann durch Unfall verloren hat, vom zweiten geschieden ist und in verhängnisvoller Leidenschaft zu einer vulgären jungen Frau entbrennt, von der sie ausgenützt und gedemütigt wird. Sie muß durch eine harte nervliche und körperliche Krise gehen, bevor sie die Kontrolle über sich wiedergewinnt und die unwürdige Bindung aus eigener Kraft löst. Nach einer langen Exposition, die den Lebenskreis der „Heldin” etwas zu manieriert absteckt, findet der Film im Zweipersonen-Drama zu einer geradezu Strindbergschen psychologischen Dichte. Margit Carstensen und Hanna Schygulla sind virtuose Interpretinnen einer weiblichen Ehehölle.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung