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„Frei von allen ernsten Studien"

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„Gehustet wird freilich hier ziemlich viel... ", schreibt ein Berichterstatter der „Triester Zeitung" im Sommer 1877 über seine Eindrücke von Bad Gleichenberg, dessen Mineralquellen — vornehmlich alkalisch-muriati-sche Säuerlinge — den oststeiri-schen Kurort zu einem Treffpunkt der Kranken gemacht hatten, die an chronischen Katarrhen, Bronchitis, Asthma und Kreislaufstörungen laborierten.

Was dem Gewährsmann aus Triest wohl auch angenehm aufgefallen sein mag, war die Ruhe und heitere Gelassenheit, mit der die Kranken ihre vorgeschriebenen Behandlungen absolvierten und sich dem recht ungewohnten kurörtlichen Lebensrhythmus anpaßten. Dies war nämlich nach Ansicht der Ärzte eine der unerläßlichen Voraussetzungen für den Erfolg einer Gleichenberger Kur. „Die Städter sollen ihr Stadtleben vergessen und — die Uberwindung durch ein paar Tage nicht scheuend — lieber früher aufstehen und zu Tische gehen, um desto zeitlicher ins Bett zu kommen", heißt es in einer 1847 herausgegebenen Anweisung über die „Lebensweise, Diät und Nachcur der Curgäste".

Und weiter: „Ungestörte, ausgiebige Ruhe ist dem Curgaste unbedingt nothwendig. Stets muß der Geist frei von allen anstrengenden Arbeiten und ernsten Studien sein! Zu Hause lasse der Cur-gast alle Sorgen und folge mit froher und ruhiger Seele seiner Cur. Aus dem Herzen verbanne er jeden Kummer! Jede Leidenschaft, die die Brust beengt, muß die Cur beeinträchtigen. Selbst die Liebe, die sanfteste Regung unseres Herzens, kann, wenn sie der Brust durch marternde Gefühle, als da sind: Eifersucht, Sehnsucht etc., die nöthige Ruhe raubt oder in die Lockungen der Sinnlichkeit ausartet, eine gefährliche Theilneh-merin der Curzeit werden. Die freie Zeit soll Zerstreuungen, vorzüglich dem Aufenthalte im Freien und der Gesellschaft gewidmet sein. Einige mögen im Schachoder Kartenspiele, andere am Billard ihr Vergnügen finden... Nur das Tanzen, besonders das schnelle Walzen, ist dem Brustkranken gänzlich untersagt..."

Die erste Erwähnung der Gleichenberger Heilquellen findet sich auf einer Landkarte des Herzogtums Steiermark, die der berühmte Geograph und Kartograph der österreichischen Barockzeit, der Tiroler Georg Matthäus Vischer, 1678 gezeichnet hat. Er vermerkte auf der Karte im Gebiet südöstlich von Graz die sogenannte „Sulzleiten" und die „Stradner-Quelle" (die heutige Konstantin-Quelle und den Johannisbrunnen).

Hundert Jahre später untersuchten der Radkersburger Distriktsarzt Dr. Hermann von Gleißner und der Leibarzt der Kaiserin Maria Theresia, Heinrich Johann von Crantz, gemeinsam die Gleichenberger „Gesundwässer", die damals noch gänzlich ungenützt im Wiesengrund versickerten.

„Ein alkalisches, weiches, seifenartiges, reinigendes, in vielen Krankheiten nützliches Wasser; es könnte wie Selterswasser getrunken werden.

Graf Wickenburg ließ sich auf einer Anhöhe über dem Kurort eine hübsche Biedermeiervilla errichten und machte sie zu seinem ständigen Sommersitz. Mit ganz besonderer Sorgfalt und Liebe wurde der vielbewunderte Kurpark angelegt, der sein Entstehen der Gemahlin des Gouverneurs zu danken hat. Gräfin Emma Wikkenburg, geborene Gräfin d'Orsay, galt als eine der schönsten Frauen Europas und war nach einhelliger Meinung der Wiener und Grazer Gesellschaft nicht nur eine ungemein gebildete, sondern auch eine überaus liebenswürdige und naturliebende Frau. Als fast perfekte Botanikerin ließ sie auf dem 15 Hektar großen Parkareal seltene Bäume und Sträucher aus Ubersee anpflanzen, einen Bananenbaum aus den Tropen, Essigbäume aus Nordamerika, Götterbäume aus dem fernen China und eine „Welling-tonia", einen kalifornischen Mammutbaum.

Wegen seiner Platanenpflanzungen mit neapolitanischen Gärten verglichen, machte der Park auf die Teilnehmer des Grazer Deutschen Gärtnertages von 1847 bei ihrem Besuche einen solchen Eindruck, daß sie die Umbenen-nung des Kurortes „Emmabad" ernstlich vorschlugen.

In dem heißen, spannungsgeladenen Sommer 1914 wurde der Chef des serbischen Generalstabes, der Woiwode Radomir Put-nik, während seiner Gleichenberger Kur von der Mobilmachung überrascht. Aus Bad Ischl kam die telegraphische Anweisung Kaiser Franz Josephs, dem gegnerischen Heerführer unverzüglich eine Extrakutsche zur nächsten Bahnstation und von dort einen Salonwagen der ungarischen Staatsbahn zur Rückkehr in die Heimat zur Verfügung zu stellen - ein Kavaliersakt, der zugleich für Bad Gleichenberg das Ende einer Epoche markierte...

Gekürzt aus dem eben erschienenen Sty-ria-Buch „Die großen k. u. k. Gesundbrunnen".

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