7025182-1989_08_20.jpg
Digital In Arbeit

Gedenksendung

Werbung
Werbung
Werbung

Da hat doch unlängst dieser berühmte Franz Weltnabel Geburtstag gehabt, den 111., glaube ich. Alles war beflaggt. Als ich aber in einer Buchhandlung nach seinem Werke fragte, hatte man dort keine Ahnung, ähnlich erging es mir im Schallplattengeschäft. Nun konnte es natürlich auch sein, daß er der größte Bier- tatzlsammler, Damenfriseur oder Vergaserbrandentdecker war, jedenfalls war ich verunsichert. Doch bekanntlich kommt ja immer, wenn man glaubt, man weiß nix mehr, vom Radio ein Lichtlein her, und so war’s auch letzten Sonntag.

Eben, als ich bei Kuchen und Tee saß - Tante Heidelinde war auf Besuch und hatte ihren lieben zehnjährigen Schwiegerenkel mitgebracht, dem es sehr mißfiel, daß hierorts kein einziger Personalcomputer herumstand, weshalb er in allen auffindbaren Büchern nach etwas EDV-ähnli- chem suchte - gerade da erklang aus dem zur Untermalung aufgedrehten Empfangsgerät eine mich äußerst entzückende Ansage. Man bringe jetzt eine Sendung zum 111. Geburtstag von Franz Weltnabel.

Die zu unterhaltende Tante durfte durch mangelnde Zuwendung nicht vergrämt werden, also entschloß ich mich spontan zum Gebrauch des Cassettenrecor- ders. Ich sprang, um keines der nun im Radio gesprochenen kostbaren Worte zu versäumen, zum Schrank, in dem die unbespielten Kassetten lagen, und erwischte eine zum Sonderpreis erworbene Fünferpackung, die mit Zellophan eng umwickelt war.

Zitternd suchte mein Daumennagel ein Fältchen, an dem die glatt anliegende Folie einzureißen gewesen wäre. Vergebens. Immer wieder vom Paket abrutschend, lief ich in die Küche, holte ein Messer und stach nun mit der Spitze in den vermeintlichen Zwischenraum zwischen zwei Kassetten. Das Messer glitt ab und traf mich am linken Zeigefinger. Heftig blutend warf ich den Fünferpack wütend zu Boden, um ihn dadurch zum Zerplatzen zu bewegen. Er hielt. Wie von ferne hörte ich ein Gemisch von Tante, Radio und Computerkind, da trat ich auf die Packung, und siehe, sie barst.

Die einzige unbeschädigt ge bliebene Cassette aus den Plastikscherben heraussuchend, rannte ich mit ihr zum Recorder. Aber auch sie war, wie sich unterwegs herausstellte, eingeschweißt. Ein kleiner Pfeil — mir fiel das geistreiche Nippellied ein — deutete jedoch Hoffnung an. Ich kletzelte. Ich suchte mit den Nägeln Halt und probierte es mit den Zähnen. Da! Eine kleine Unebenheit. Es hieß jetzt Ruhe bewahren.

Und wirklich, ein roter Faden löste sich aus dör silbergrauen Schutzschicht, ich zog - und hatte den Faden in der Hand, die Hülle, die um die Cassette lag, war unbeschädigt geblieben.

Schweißperlen standen mir auf der Stirn, Flüche lagen mir griffbereit auf der Zunge, die Nerven waren gespannt, das Gehirn formulierte einen Drohbrief an die Cassettenfirma, und der Computerknabe fragte „Was machst du da, Onkel?“

Schützend zog da Tante Heidelinde den Datenverarbeitungsjungen auf ihren Schoß und legte die Hände um ihn, sie hatte wohl meine Gedanken erraten.

Ich zerrte den letzten Schichtrest ab, holte die Cassette aus ihrem Behälter, legte sie ein, drückte die Aufnahmetasten - Tante Heidelinde fragte soeben, die Teetasse über den Bildschirmbuben hebend: „Was machst du da eigentlich wirklich?“ — da hörte ich den Programmsprecher sagen: „Sie hörten eine Sendung zum 111. Geburtstag von Franz Weltnabel.“

Der Nachmittag verlief, nachdem ich mich verbunden und Fußboden, Radio und Wandverbau vom Blut gereinigt hatte, ohne besondere Vorkommnisse. Vielleicht rufe ich den Kundendienst an und frage ihn, wer Franz Weltnabel ist. Wenn’s der aber, wie das meiste, auch nicht weiß: Schreiben Sie’s mir bitte?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung