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Warum ich nickt nacK Amerika auswanderte

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Es war an dem Sonntag, an dem ich nach Amerika auswandern wollte. Ich mußte unbedingt an einem Sonntag auswandern, weil mem Vater und meine Mutter immer nur sonntags ins Kino gingen. Bei Karl war das anders, der konnte an jedem beliebigen Tag in der Woche auswandern, den sein Vater war tot, und seine Mutter mußte tagsüber bei fremden Leuten Wäsche waschen und abends unsere Schule aufräumen. Am

Sonnlag half sie Herrn Grabowsky in der Bierstube: .Ja, der Karl hatte es gut.

Wir waren für halb neun verabredet. Im April ist es da schon dunkel, und (Kinkel mußte es sein, denn was ein richtiger Auswanderer ist, der verläßt seine Heimat heimlich und im Dunkeln.

Erstens fällt ihm der Abschied nicht so schwer, weil er ja nichts sieht, und zweitens ist er nur in der Nacht, vor alien denen sicher, die ihn zurückhalten könnten. Ich habe noch nie von einem Auswanderer gelesen, der sich an dieses ungeschriebene Gesetz nidit gehalten hätte, oder aber es war ein Anfänger.

Alles, was die Reise betraf, war haargenau festgelegt. Das Geld für die Fahrt nach Hamburg — fünfundzwanzig Mark und vierundsiebzig Pfennige — lag griffbereit in meinem Geheimfach unterm Schrank, der Rucksack mit dem Reiseproviant hing hinterm Kamin auf dem Dachboden. Von Hamburg aus wollten wir einen Schnellsegler benutzen, die heuern ja immer Schiffsjungen an. Und in New York wollten wir dann als Tellerwäscher arbeiten, bis wir das Geld für zwei Pferde zusammen hätten. Das

übrige war eine Kleinigkeit: hoch zu Roß durch den Mittelwesten, in einem Kanu über den Mississippi und dann auf Maultieren in die Rocky Mountains. Weiter wollten wir nicht.

Am Nachmittag kam ein Freund meines Vaters mit seiner Tochter zu uns zum Kaffee. Ich wunderte mich, wie so ein erwachsner Mann, ich meine, wie mein Vater mir so viele Freunde haben konnte. Zu einem richtigen Mann gehört ein Freund, wenn möglich ein Blutsfreund, aber mein Vater kam jede Woche mit einem neuen daher, es war eine Schande. Nach dem Kaffee sagte meine Mutter:

„Du darfst jetzt in den Garten gehen. Nimm Lissy mit und mach keine Dummheiten.“

Ich ging also mit Lissy in den Garten. Zuerst dachte ich, ist die dumm! Ich fragte sie nämlich, ob sie wüßte, welche Teile man von einem Bären essen kann, und das wußte sie nicht. Ich hätte sie auch noch fragen können, was man bei der Begrüßung eines Indianers unbedingt beachten muß, aber mir war mit einemmal fürchterlich komisch zumute. Daran war nicht die Schlagsahne schuld, sondern Lissy. Sie hatte so einen Kopf wie ein Engel, rote Backen und ganz blaue Augen und langes Haar, das glänzte wie Gold, wenn die Sonne drauf schien. Ich fragte sie nichts mehr, und als wir an der Schaukel standen, mußte ich ja etwas sagen, und darum sagte ich:

„Wenn du Lust hast, darfst du mal schaukeln.“

Sie sah mich bloß so mit ihren blauen Augen an und dann saß sie schon auf dem gelben Schaukelbrett, und ich mußte sie tüchtig abstoßen, weil sie das mit dem Schwungholen noch nicht richtig heraus hatte. Es war sehr warm im Garten. Die Bäume waren schon fast alle grün und die ersten Zitronenfalter tummelten sich überm Rasen. Lissy flog durch die Luft, ihr blaues Kleid wehte wie ein Wimpel, und ihre blonden Haare wehten auch. Jedesmal, wenn Lissy an mir vorüberflog — im ganzen dreiundfünfzigmal — spürte ich einen Stich auf der linken Seite überm Magen, dreiundfünfzig Stiche.

Später, als dann alles vorüber war, fragte ich mich, ob denn die Stiche so schlimm waren, mnd was denn schon dabei ist, wenn ein Mädchen in einem blauen Kleid immer so an einem vorbeifliegt. Aber damals war es sehr schlimm. Ich rannte aus dem Garten und pfiff Karl heraus. Er kam auf die Straße und fragte mich gleich, ob ich ihm nicht noch einmal das Buch „Als Fallensteller in den Rocky Mountains“ borgen könnte. Er wäre sich nicht im klaren, wo man bei einem Bären hinzielen müßte, auf den Kopf oder aufs Herz, das wäre doch ungeheuer wichtig, und er müßte die betreffenden Seiten auf. der Stelle nachlesen, weil wir ja schließlich in den Bergen nicht als Greenhorns herumlaufen könnten.

Ich ließ ihn reden und sagte nichts. Plötzlich sah mich Karl an.'

„Was ist denn mit dir los? Bist du krank?“

Ich schüttelte den Kopf. „Du wirst sicherlich Reisefieber haben, aber das geht vorüber.“

Ich gab mir einen Ruck. „Du, Karl!“ - .Ja?“ -I yy V/t, i • ' • r-V „Karl, ich komme nicht mit.“ „Nicht mit?“ wiederholte Karl entsetzt. „Nein.“

„Ja, warum denn nicht?“

„Ich ... ich habe jetzt keine Lust mehr.“

„Das ist nicht wahr.“

„Doch. Weißt du, ich habe jetzt hier eine Geliebte, und das wäre doch schuftig, wenn ich meine Geliebte zurückließe.“

„Willst du das Weib heiraten?“ fragte Karl. „Ja.“

,,'ne Frau können wir aber in den Rocky Mountains nicht gebrauchen.“

„Das ist es ja aben.“

„So ein Mist!“ Karl blickte zu Boden, er hätte beinahe losgeheult vor Zorn. „Aber die Ehre geht vor.“

„Ja“, sagte ich überzeugt.

Und so blieben wir daheim. Ich bin auch später nicht mehr nach Amerika ausgewandert. Vielleicht war ich doch bloß 'n Anfänger.

Der Knat

Während sich sein junger Körper spannte — Ungebärdig war, voll Trotz sein Blick —, Lebte achtlos kühn er sein Geschick, Das noch nicht der Seelen Neigen kannte.

Da er keine tröstlich Mutter nannte, Trat das Bild der Zärtlichen zurück In der Kindheit Wähnen. Und sein Glück War, wenn er in wildem Spiel entbrannte.

Fremde schienen im Vorübergehen

Fraun und Mädchen. Spott wuchs um den Mund,

Denn sein Herz war noch nicht mit im Bund.

Aber in der Nächte Fliederwehen War's, daß einer um die Tote sann, Und die Zeit der Wandlungen begann.

Vroni Handlgrubsr-Rothmayer

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