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Große Chormusik

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Für Johannes Okeghem (etwa 1425 bis 1495), dessen Motetten und Messen neben Dufay und Josquin des Pres zu den Standardwerken der beginnenden Renaissance gehören, war der Gregorianische Choral in seinem Requiem, des ersten überhaupt dieser polyphonen Gattung, nur noch Melodiengerüst. Gleich der vegetativen Verästelung spätgotischer Sakralkunst bewegen sich die zwei-bis vierstimmigen Sätze von der Gregorianischen Grundform aus in feinem Stimmgewebe fast schwebend aus dem Raum und schaffen ein Novum in Konstruktion und Form. Im Offertorium überrascht die dichte Aussage dieser „ars nova“, in die sich die Ordinariumsgesänge vom Sanctus bis zum Schluß im Gregorianischen Choral nahtlos einfügen. Die präzise und stilvolle Aufführung des Clemencic-Consorts im Brahmssaal des Musikvereins erreichte Spitzenklasse und gab, wie die vorjährige Wiedergabe der „Missa Ave Regina coelorum“ von Dufay, einen Einblick in das Musikgeschehen des Übergangs von der Gotik zur Renaissance. Bewundernswert vor allem die beiden Contra-tenöre Zeger Vandersteene und Mieczyslaw Antoniak, aber ebenso ausgeprägt der Baß Pedro Liendo und der Tenor Darell Parsons. Aus der Originalbesetzung des Orchesters sei besonders Hans Tschedem-nig (Alt- und Tenorposaune) und der Lautenist Andreas Kecskes hervorgehoben. Versiert dirigierte das Ensemble, das neben dem Requiem noch andere Totenklagen des späten Mittelalters zu Gehör brachte, Rene Clemencic.

Die schmerzlichen Briefe Mozarts nach dem Tode der Mutter in Paris an seinen Vater sind Präludien zum Abschiedsgesang seines Requiems, aber zugleich ein mutiges Bekenntnis zu einem Leben voller künstlerischer Zukunftspläne. Die stilistischen Merkmale aus der Handschrift des Schülers sind wohl gravierend, sie können aber nicht mehr das innere Gleichgewicht dieser Lebensharmonie aufheben. Von der latenten Dramatik des Werkes geht jede Aufführung des Werkes aus und ergreift uns, oder sie bleibt formelhaft. Die Wiener Bachgemeinde wählte in der Minoritenkirche das erstere. War in den Sätzen bis zum Offertorium das Orchester im Vorrang, so gerieten die Teile vom Sanctus bis zum Agnus mit Libera dem Chor und den ausgezeichneten Solisten bestens. — Ausführende waren Teresa Stich-Randall — Sopran, Elisabeth Kummer — Alt, Wolf gang Mayr — Tenor, Eberhard Kummer — Baß, der Bach-Chor und das Bach-Collegium unter Leitung Hermann Furthmosers.

Der Jugendchor Canisius, Wien, brachte im Zeichen der Ökumene Englische Anthems, Hymnen beim Morgen- und Abendgottesdienst der Hochkirche, eine Verballhornung des lateinischen Wortes Antiphon, in seinem Konzert zur Aufführung, bei denen die auf Wunsch der Reformatoren zurückzuführende Schlichtheit des homophonen Chores auffiel, zu einer Zeit, da im übrigen Europa die klassische Renaissance-Motette schon zur ersten Hochblüte der barocken Orchestermesse ansetzte! Nur John Blows „Let thy hand be streng-thened“, zur festlichen Krönung Jakobs II. 1685 komponiert, vermittelte den erlesenen Glanz zeitgenössischer Ensemblekunst, während bei R. G. Thompsons „Abide with me“ und Richard H. Lloyds „View me, Lord“ selbst der von Manfred Linsbauer ausgezeichnet geführte Chor nicht über die Schwächen des Textes und musikalischen Ausformung hinwegtäuschen konnte. Wo blieben die Anthems von Byrd, Purcell, Greene? Die Toccata cromatica von Girolamo Frescobaldi und die Toccata in F-Dur von Johann Pachelbel mit Elmar Gipperich an der Orgel ergänzten das sehr gelungene Kirchenkonzert in St. Canisius.

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