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Hilfe, das Mozartjahr '91 beginnt!

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In grausiger Erinnerung ans Maria-Theresien-Jahr sowie ans Türkenjahr, beides jeweils treffliche Gründe, nie wieder irgendetwas von Maria Theresia oder den Türken hören und sehen zu wollen, lege ich mir für die 365 Tage nach jenem Neujahrskonzert, in dem auch der selige Wolferl gespielt werden soll, vorsorglich ein Anti-mozartbewußtsein, kurz ABS, zurecht, das mich auch im Jahre 1992 in die Lage versetzen sollte, die Kleine Nachtmusik ohne größeren Schaden zu vernehmen.

Doch ach. Ich hatte nicht bedacht, daß in unseren Tagen, da der Schmelzkäse vier neunzig, ein Paar Schuhe achthundertneunundneun-zig neunzig und ein Automobil dreihundertneunundneunzigtau-send kosten, bereits der 199. Todestag des Meisters Anlaß zum Feiern und Begehen (= Beschreiten, Betreten, Zertrampeln) desselben sein könnten. Unvorbereitet traf mich daher der Startschuß, der vermutlich, nein ganz bestimmt sogar, mittels einer Mozartkugel vorgenommen wurde, und nun sind meine Anti-Wälle gebrochen, die Anti-Dämme geborsten, ungebremst stürmt W. A. M. in allen Formen auf mich ein, wildgewordenen Fluten gleich.

Von den als Medien bezeichneten Nachrichten- und Unterhaltungstransporteuren wird Mozart unzart auf mich eingeschlagen, und so viel ist klar: das Medium bin ich, und ich erfahre so allerlei. Mit Erzbi-schöfen war er zerstritten, eingebildet war er und intolerant, wenn ihn einer nicht kannte schimpfte er ihn, ein Modegeck war er, Spielschulden hatte er, von reichen Freundinnen ließ er sich aushalten, ein launenhafter Klavier- und Gesangslehrer war er, nicht einmal die Kindersymphonie ist von ihm, wer weiß ob die Sache mit dem Requiem wahr ist, na und was man von dem Grab in Sankt Marx -gleich beim Schlachthof und unter der Südosttangente - halten soll, weiß man auch nicht, also wissen Sie -, dabei war er ganze eineinhalb Meter groß, und für das größte Genie hielt er sich, ha. Und kann doch nichts dagegen unternehmen, wenn sie jetzt seine Opern den Regisseuren überlassen, die den Idomeneo im Zweiten Weltkrieg, die Hochzeit des Figaro in der Moskauer U-Bahn und die Zauberflöte in einem Nachtlokal, warum weiß man ja, spielen lassen, von wegen Genie.

So und ähnlich schaut's derzeit mit mir aus, ein paar Tage vor dem Beginn des Mozartjahres. Ich habe Angst und lechze nach Hilfe.

Musikredakteure und Programm-zusammensteller, wie wär's mit dem 100. Todestag von Leo Delibes, dem 90. von Verdi, dem 80. von Mahler, dem 75. von Reger, dem 70. vcn Saint-Saens und Humperdinck?

Nein nein, es ist nicht nur das Mozartjahr. Jeder sieht das. Und nur von dieser Erkenntnis kann Rettung kommen. Man widme jedem Meister, der einen runden Gedenktag aufweisen kann, im Jahreslauf nur zwei, drei Wochen.

Es müßte reichen, um 1991 unversehrt zu durchschreiten.

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