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Digital In Arbeit

Immer diese Schule

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Der Sommer war heiß und der Redakteur im Urlaub. Also blieb die Verantwortung auf den schmalen Schultern von Toni, dem talentierten Volontär, liegen. Der Chef hatte ihn noch vom Flughafen aus angerufen. Toni hatte in der Aufregung nur so etwas verstanden wie: „Einen Aufmacher für die Ausgabe zum Schulbeginn werden Sie doch wohl noch schaffen!“

Dann war der Chef Richtung Süden in der Luft.

Ein Aufmacher zum Beginn der Schule, das war, so frohlockte Toni, eine leichte Übung. Das würde ihm Ruhm und Lob einbringen und gute Chancen für eine Weiterbeschäftigung. Vielleicht sogar einen Anerkennungspreis für Nachwuchsjournalisten.

Sein Bericht würde so richtig aufmachen — und anmachen, er würde sozusagen, wie das die erfolgreichen deutschen Kollegen so trefflich vormachen, ans Eingemachte jgehen: ein kleiner Skandal, ein allseitiges Unbehagen, eine öffentliche Verdrossenheit, ein geheimer Ubelstand, ein notorischer Kummer, ein überschwappender Protest.

All das war doch kein Problem, wenn es um Schule ging.

War nicht im vergangenen Jahr fast jede Woche irgendein Horrorbericht über die Uberforderung der Lehrer und die Unterforderung der Schüler oder über die Uberbelastung der Schüler und das Unausgelastetsein der Lehrer veröffentlicht worden?

Hatte es nicht wöchentlich, zu Schul-Stoßzeiten fast täglich, ein Rundfunkinterview gegeben, in dem Schüler über Lehrer, Lehrer über Schüler und beide über die Eltern klagten?

Erschienen nicht in allen renommierten soziologischen Fachblättern ellenlange Aufsätze darüber, daß diese Schule in dieser Gesellschaft eben nur so schlecht sein könne, wie sie eben sei? Äußerte nicht auf jeder politischen Versammlung ein Vertreter der jeweiligen Opposition 'sein ganz grundsätzliches und tiefempfundenes „Unbehagen an der Schule“?

Toni dankte dem Schicksal für den Redaktionsurlaub, seinem Chef für die gloriose redaktionelle Eingebung und der öf f entlichen Schulpolitik für ihr manifestes Versagen. Dann machte er sich flugs ans Schreibwerk.

Allerdings, so hatte man es ihm eingeschärft, ein wenig Recherche müßte schon sein. So verwarf er den Plan, einen freiinszenierten Kommentar für den Kasten auf der ersten Seite zu entwerfen sowie eine Sonderseite mit Pressemeldungen vollzukleben, und besann sich auf den Leitfaden für angehende Reporter: Authentisches mußte her - und Aktuelles!

Er nahm das Cheftelefon in Betrieb. Bekannte nebst Telefonnummern hatte er im Kopf. Das Fehlende stand im Notizbuch.

„Hallo Onkel Willi, hier Toni, wie geht's Inge und Erik? Was fällt Dir zum Schulbeginn ein?“

„Gottseidank, daß die Schule wieder beginnt. Wenn man die lieben Kinder den ganzen Tag um sich hat, weiß man erst, was die Schulen leisten!“

Ein klassischer Flop.

„Grüß Gott, Herr Professor Berger, hier Redakteur Toni F. (Datenschutz!). Demnächst fängt die Schule wieder an. Was tun Sie jetzt schon zu Hause?“

„Ich bereite gerade den Unterricht für die ersten Wochen vor. Ich habe im Urlaub fleißig fotografiert und gefilmt. Das möchte ich gern in der Schule verwenden. Das macht den Schülern Spaß -und.mir auch.“

Flop Nummer 2 traf Toni besonders schmerzhaft.

Aber noch blieb ihm die Geheimwaffe: die Schulfreunde seiner kleinen Schwester. Auch diese bekam er ans Telefon, und auch sie bekamen die Frage aller Fragen vorgesetzt.

Und das war das — erschütternde — Ergebnis: „Super, daß die Schule wieder beginnt. Wir kriegen einen neuen Profaxen, den finden alle in der Schule absolut top! Und außerdem fangen wir mit Französisch an. Und dann treffen wir endlich wieder die Clique. Ferien sind ja schön und gut, vor allem für ältere Leute, aber ohne Schule ist doch das ganze Leben öde. Grenzenlos ätzend.“

Toni brach zusammen. Seine Vision von einer rasanten Karriere als Journalist fiel in Trümmer. Immer diese Sch ... Schule. Was ist denn jetzt wieder mit ihr los? Nichts? Nichts! Welch ein Skandal!

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