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In ihrem Lager wächst das christliche Österreich

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Wenn die Pflichtschule lange vorbei ist, wenn der Religionsunterricht, den gewisse Kreise immer wieder in Frage stellen wollen, nur noch blasse Erinnerung ist - dann bietet sich der katholischen und evangelischen Kirche eine letzte große Chance, wenigstens den jungen Männern das Evangelium näherzubringen. Und gerade beim Bundesheer, wo die Wehrpflichtigen das nicht gerade christliche Waffenhandwerk erlernen, kommt es dazu. Mit welchem Erfolg und - vor allem - mit welcher Begründung für die Kooperation zwischen der Religion der Nächstenliebe und der militärischen Streitmacht?

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Wenn die Pflichtschule lange vorbei ist, wenn der Religionsunterricht, den gewisse Kreise immer wieder in Frage stellen wollen, nur noch blasse Erinnerung ist - dann bietet sich der katholischen und evangelischen Kirche eine letzte große Chance, wenigstens den jungen Männern das Evangelium näherzubringen. Und gerade beim Bundesheer, wo die Wehrpflichtigen das nicht gerade christliche Waffenhandwerk erlernen, kommt es dazu. Mit welchem Erfolg und - vor allem - mit welcher Begründung für die Kooperation zwischen der Religion der Nächstenliebe und der militärischen Streitmacht?

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Katholischer Militärvikar von Österreich ist seit 1969 der St. Pöltener Diözesanbischof Dr. Franz Zak. Am augenfälligsten übt er sein Amt bei bischöflichen Visitationen von Bundesheereinheiten und bei Soldatenfirmungen aus. Dem von Militärprovikar Prälat Franz Gruber geleiteten Militärvikariat in der Wiener Stiftskaserne obliegen die seelsorgliche Betreuung und die Matrikenführung für alle katholischen Angehörigen des Bundesheeres, ferner die Personalangelegenheiten der Militärseelsorger.

Derzeit sind mit dem Militärprovikar 17 katholische Militärpfarrer in 17 österreichischen Militärpfarren und insgesamt 137 Kasernen für rund 55.000 Menschen, eingerechnet die Familienangehörigen des Kaderpersonals, im Einsatz. Die Militärpfarreri sind nicht nur flächenmäßig sehr groß - mitunter umfaßt eine ein ganzes Bundesland auf einen Militärpfarrer kommen auch im Durchschnitt mehr als 3000 Personen, während es vergleichsweise in Deutschland nur 1500 sind. Zum Glück gibt es noch 35 Militärpfarrer der Reserve und 36 „Mili- tärsubsidiare“ (mithelfende Priester der Zivilseelsorge), die die Arbeit der aktiven Militärpfarrer unterstützen. Außerdem stehen noch zwei Militär- kapläne der Reserve im Dienst dieser „geistlichen Landesverteidigung“. S,ie betreuen die etwa 800 österreichischen UNO-Soldaten in Zypern und auf dem Golan.

Dekan Emst Heß, evangelischer Militärsuperintendent, hat nur fünf Militärpfarrer im Hauptamt, zehn der Reserve und zwölf im Nebenamt (sie entsprechen den katholischen Militär- subsidiaren) zur Verfügung. Der Anteil der Evangelischen an der Gesamtzahl der Soldaten wächst anscheinend mit dem Dienstgrad. Gibt es unter den Grundwehrdienern nur etwa sechs Prozent, steigt der Anteil bei den Ma-

turantenkompanien und Berufsoffizieren auf rund zehn Prozent und beträgt im Generalstab bis zu 15 Prozent. Für diese geringe Anzahl von Soldaten ist die Zahl der Seelsorger-verglichen mit dem katholischen Bereich - relativ hoch. Die Fläche, die betreut werden muß, ist aber um nichts kleiner.

Regelmäßiger Berührungspunkt zwischen Soldaten und Militärseel- sorgem ist der „Lebenskundliche Unterricht“, für den im Dienstplan zumindest eine Stunde pro Monat erübrigt werden soll. Und da kommt eine Frage immer wieder: Warum arbeiten im Bundesheer Geistliche mit, noch dazu in Uniform? Als Argumente werden Bibelzitate hinzugefügt. Von der anderen Backe, die man hinhalten soll, nachdem man auf die eine geschlagen worden ist. Vom Schwert, durch das man umkommt, wenn man zu ihm greift.

Indem sie sich dieser Frage stellen, leisten die Militärpfarrer einen eminenten Beitrag zur geistigen Landesverteidigung, zur Hebung des allgemein bekanntlich nicht allzu starken Wehrwillens. Dabei machen sie es sich bei der Beantwortung keineswegs leicht. Prälat Gruber verweist auf die Fülle von Veranstaltungen, die sich mit diesem Problem befassen, etwa die im Rahmen der Generalstabskurse abgehaltenen „Wehrethischen Seminare“. Energisch widerspricht er dem Vorwurf, die Kirche habe einst sogar „Waffensegnungen“ durchgeführt: „Der Segen des Geistlichen galt niemals der Waffe, immer nur dem Soldaten!“

Was das Uniformtragen der Militärpfarrer betrifft, das lediglich bei der deutschen Bundeswehr nicht üblich ist, so befürworten es sowohl Gruber als auch Heß mit genau den gleichen Worten: „Es soll die Solidarität des Geistlichen mit dem Soldaten doku-

mentieren, daß beide das gleiche Gewand tragen.“ Prälat Gruber weist auch auf die Vorteile der Dienstgrade hin, die die Militärgeistlichen als „Offiziere des Militärseelsorgedienstes“ besitzen: „Besonders bei der UN- Truppe hat sich gezeigt, daß der Dienstgrad, der ja auf die Länge der Dienstzeit im Heer zurückzuführen ist, Anerkennung findet und großen Wert besitzt!“

Daß sich das Christentum mit der Landesverteidigung, solange die Betonung auf „Verteidigung“ liegt, vereinbaren läßt, erklärt Dekan Heß so: „Wir müssen bei dem Wort Nächstenliebe nicht nur an den Feind denken, den wir lieben sollen, sondern auch an die unschuldigen Landsleute, an unsere Familie, die wir verteidigen müssen gegen ungerechte Angriffe. Wenn jemand einen Zaun übersteigt, hinter dem - wie ein Schild mitteilt - ein bissiger Hund lauert, darf er sich nicht wundem, wenn er gebissen wird. Dem Hund darf man deswegen keinen Vorwurf machen!“

Der „Lebenskundliche Unterricht“ ist Dienst. Zumindest im katholischen Bereich ist eine Abmeldung davon möglich, allerdings muß dann der betreffende Soldat damit rechnen, während dieser Zeit anderweitig beschäftigt zu werden. Wegen der geringen Anzahl findet bei den Evangelischen der Unterricht für Grundwehrdiener, Chargen, Unteroffiziere, Offiziere gemeinsam statt, bei den Katholiken dagegen getrennt.

Der Ablauf der Unterrichtsstunde kann vom Militärpfarrer weitgehend individuell gestaltet werden, wobei im Laufe der Dienstzeit eines Einrük- kungstermins bestimmte Themen einmal zur Sprache gebracht werden sollen. Das geschieht meist in Form von Diskussionen, eventuell eingeleitet durch einen Lichtbildervorträg des Geistlichen, wobei auch die Soldaten Fragen aufwerfen können, die sie bewegen. Neben dem Standardthema, wie die Kirche zum Krieg steht, geht es da in der Regel um die ganze Palette aktueller Probleme, namentlich Fristenlösung, Geburtenregelung und voreheliche Beziehungen.

Uber den Unterricht hinaus umfaßt das Angebot der österreichischen Militärpfarrer natürlich vor allem Gottesdienste, zum Teil in ökumenischer Form, die heute nicht mehr durch militärische Kommandos unterbrochen werden und deren Besuch freiwillig erfolgt. Die gelegentlich angebotenen Einkehrtage sind vor allem an der Wiener Neustädter Militärakademie ein voller Erfolg geworden. Die Zahl der Soldatenfirmungen ist in den letzten Jahren ständig gestiegen (1976: 658). Von den Militärseelsorgern werden auch immer wieder Trauungen, Taufen und Standartenweihen durchgeführt.

Alljährlich gibt es Kurse für die Priester und Pfarradjunkten des Mili- tärSeeisorgedienstes und eine Pasto- ralkonferenz für alle aktiven Militärpfarrer, die für 1977 dieser Tage in Johnsdorfin der Steiermark stattfand. Dazu wurde heuer der Psychiater Univ.-Prof. Dr. Erwin Ringel eingeladen, weil man, wie Prälat Gruber betont, die Selbstmordfälle beim Bundesheer, obwohl sie - auf die Gesamtbevölkerung bezogen - nicht überdurchschnittlich oft Vorkommen, sehr ernst nimmt.

Äußerst bewährt haben sich schon die zweifellos noch ausbaufähigen, von der Militärseelsorge betreuten Kinderferien- und Familienerholungsaktionen, von denen die Familien von -Heeresangehörigen immer ausgiebiger Gebrauch machen. 1977 konnten zum Beispiel rund 1000 Kinder mit nahezu 100 Helfern und Erziehern in 14 Kinderferienlagern untergebracht werden.

Die aktiven Laien im Bundesheer haben sich längst organisiert. So gibt es die der Katholischen Aktion angeschlossene „Arbeitsgemeinschaft katholischer Soldaten“ (AkS), die auch den Kontakt zur internationalen Organisation „Apostolat Militaire International“ (AMI) hält und zweimal pro Jahr Arbeitskonferenzen durchführt. Außerdem besitzen alle Militärpfarren demokratisch gewählte Militärpfarr- gemeinderäte. Etliche Militärpfarren geben eigene Pfarrblätter heraus, sechsmal pro Jahr erscheint, nebst einigen Sonderdrucken, eine Publikation der Militärseelsorge mit dem auffordernden Titel „LIES“.

Ein sichtbarer Erfolg der Militärseelsorge war zweifellos die hohe Teilnehmerzahl bei der Internationalen Soldatenwallfahrt nach Rom 1975, anläßlich des Heiligen Jahres. Mit 1760 Wallfahrern stellte Österreich unter 23 Nationen das zweitstärkste Kontingent. 1978 ist wieder eine große Wallfahrt österreichischer Soldaten nach Lourdes vorgesehen. Im evangelischen Bereich, wo man mit Fortbildungsangeboten aus finanziellen Gründen ein wenig sparsamer ist, fehlt hier nicht als Pendant die Teilnahme an internationalen evangelischen Soldatentreffen.

Die katholische österreichische Militärseelsorge, größtenteils aus Budgetmitteln des Verteidigungsministeriums, zum Teil auch aus Kirchengeldern finanziert, besaß stets einen vorzüglichen Ruf. Militärprovikar Gruber verweist darauf, daß die einzigen zwei Bilder, die er vor etlichen Jahren im Arbeitszimmer des deutschen Milrtär- generalvikars Prälat Georg Werthmann erblickte, zwei österreichische Militärgeistliche zeigten: Msgr. Dr. Alois Beck, Divisionspfarrer im Zweiten Weltkrieg, und Militärprovikar Prälat Anton Allmer, Österreichs führenden Militärseelsorger in der Zwischenkriegszeit und nach dem „Anschluß“. Um eine Lücke in der Geschichte der österreichischen Militärseelsorge zu . schließen, hat Gruber kürzlich eine Diplomarbeit über Allmer verfaßt.

Österreichs Militärseelsorge befindet sich in den besten Händen. Die Priester sind mit Eifer bei der Sache. In ihrem Lager wächst das christliche Österreich.

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