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Jetzt sind wir Deutsche

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Über Nacht waren wir Deutsche geworden. Nicht ganz hochwertige, aber immerhin Ost-märker. Der Führer hatte es verkündet, und was er sagte, galt. Wir fragten uns, ob wir das irgendwie fühlen könnten, erwarteten insgeheim, etwas wie Erleuchtung werde über uns kommen. Es kam keine. Innerlich blieben wir, wie wir bisher gewesen waren.

Ein wenig spürte man es natürlich schon, daß wir Deutsche geworden waren. Anders freilich, als viele erwartet. An Kleinigkeiten, etwa beim Grüßen. Der Vater ging in seine Trafik Zigaretten kaufen. Wie stets betrat er den Laden mit einem freundlichen „Guten Morgen, Frau Weininger“. Da fuhr ihn Frau Weininger, deren Namen ich ein bißchen verändert habe, damit sich ihre Nachkommen nicht aufregen müssen, scharf an: „Das heißt jetzt Heil Hitler!“ - „Auch gut“, sagte der Vater, „Heil Hitler“, drehte sich um und verließ den Laden. Als er heimkam, schimpfte er: „Diese blöde Kuh kann ihren Tschick selber rauchen, der kauf ich keinen mehr ab.“

In der Gemeindestube beim Schulhaus amtierte jetzt ein anderer Bürgermeister als jener, der 1935 dem Bruder einen silbernen Fünfer geschenkt hatte, um den Vater für die Vaterländische Front zu ködern. Der war aus einem anderen Holz geschnitzt als der vormalige. Der hielt dem Vater keine Hand mehr hin, der warb nicht, ungeschickt und halbherzig, um seine Mitarbeit. Der sagte: „Mit uns machst du keine solchen Geschichten wie mit den Schwarzen. Da heißt es entweder oder. Entweder du bist für uns, oder du bist gegen uns. Sei gescheit und arbeite mit. Wir brauchen jeden, und du willst doch auch nicht auf immer und ewig in deinem Barakkenloch bleiben.“

Aus dem Barackenloch wollte der Vater natürlich gerne heraus. Und das Angebot, wenn auch mit einem gewissen Unterton, war schon eine Überlegung wert. Also überlegte er. Es war damals schon von der großen neuen Siedlung die Rede, für die bald der Grundstein gelegt werden sollte. Auf den Plänen sah man zweigeschossige Häuser mit sogenannten Volkswohnungen und Eigenheime mit dazugehörigen Gärten.

Ein eigenes kleines Häuschen spukte dem Vater seit eh und je im Kopf herum. Er war in einer ost-steirischen Bauernkeusche aufgewachsen, mit Lehmboden in den Räumen, Rauchkuchl, angebautem Kuhstall und Misthaufen vor der Tür. Aber wie schäbig sie war, es war doch etwas Eigenes, daraus konnte einen so leicht niemand hinausjagen. Die Überlegung führte beim Vater zum Entschluß, sich nicht gewaltsam gegen die Nazis zu stellen. Die waren jetzt einmal die Stärkeren. Und überhaupt - hatte denn auch nur irgend jemand auf der Welt seinen Finger für Österreich krumm gemacht, als der Hitler es schnappte? Der Vater sagte sich, wenn ich bei der Aufstellung der Namenslisten für die Ausgabe der Lebensmittelkarten mithelfe, heißt das noch lange nicht, daß ich mit den Nazis allianz bin. *

Jetzt, nach so vielen Jahren, hätte man gern einen Vater herumgezeigt, der sich nicht duckte, um endlich Ruhe zu haben, um keinen Schlag mehr einstecken zu müssen. Der dazu gestanden wäre, was er vor dem Umschwung oft verlauten ließ: „Hitler bedeutet Krieg.“

Der Vater hatte sein Heldentum auf dem Eisenpaß verbraucht, im Arrest, bei der Schwarzarbeit, im täglichen, zermürbenden Kleinkrieg ums Uberleben, in der Sorge um seine Familie. Er war zum Mitläufer geworden, aber wenn er schon mitlief, dann wenigstens um eine Wohnung, in der die Buben sich umdrehen konnten, ohne sich am heißen Ofen den Hintern zu verbrennen.

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