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Karl Postl: der Priester als Dissident

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Vor 200 Jahren , am 3. März 1793, wurde der „große Unbekannte”, der in Wahrheit Karl Postl hieß, im mährischen Poppitz bei Znaim geboren. Sein abenteuerliches Leben, reich an ungelösten Rätseln, gleicht einem Roman.

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Vor 200 Jahren , am 3. März 1793, wurde der „große Unbekannte”, der in Wahrheit Karl Postl hieß, im mährischen Poppitz bei Znaim geboren. Sein abenteuerliches Leben, reich an ungelösten Rätseln, gleicht einem Roman.

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Auf Wunsch der frommen Mutter wurde der aus einer Weinbauernfamilie stammende Sohn Priester. 1814 geweiht, trat er in das Stift der Prager Kreuzherren ein und wurde schon als 23jähriger Sekretär dieses Ordens, wodurch er in viele gesellschaftliche Kreise, namentlich des Adels, gelangte. Damals lehrte an der Prager Universität der katholische Theologe und Philosoph Bernard Bolzano, der wegen seiner freisinnigen Anschauungen schon 1820 seinen Lehrstuhl verlor. Postl gehörte zu seinen eifrigsten Schülern. Dies und andere Differenzen mit dem Großmeister des Ordens brachten ihn in Schwierigkeiten, so daß er sich zur Flucht aus dem Kloster entschloß, wobei ihm nach Gerüchten auch einflußreiche Freimaurer geholfen haben sollen.

Nach einem Kuraufenthalt in Karlsbad kehrte er nicht mehr in sein Ordenshaus zurück und blieb seither verschollen. Seine österreichische Heimat hat er nie wiedergesehen. Auf Umwegen über Wien und die Schweiz erreichte er 1823 Le Havre, wo er sich nach New Orleans einschiffte. Als Carl Sidons und bald darauf als Charles Sealsfield lebte er in der neuen Welt, wurde Bürger der Vereinigten Staaten, war als Makler, Journalist und politischer Akteur (Verbindung mit Joseph Bonaparte, Bruder Napoleons I.) tätig und erwarb sich einen immer mehr beachteten Schriftstellernamen.

In Österreich polizeilich gesucht

Seit 1831 lebte er, immer wieder von Aufenthalten in Amerika unterbrochen, in der Schweiz, wo er 1858 nahe von Solothurn ein kleines Landhaus erwarb. Sein Lebensabend war von Seelennöten und Gewissensängsten bedrängt. Der in Österreich polizeilich gesuchte entlaufene Priester fühlte sich immer noch als Katholik, blieb unverheiratet und verlangte vor seinem Tode (1864) von dem reformierten Solothurner Pfarrer Hemmann, dem Vertrauten seines Alters, die Sterbesakramente. Erst sein Testament, das die Familie Postl als Erben einsetzte, lüftete das Geheimnis dieses Lebens. Der Dichter hatte sich nach der Flurbezeichnung „Siegelfeld” (Siegel = engl, seal) seiner Poppitzer Heimat Sealsfield genannt.

Sealsfields Bedeutung als Schriftsteller läßt sich hier nur andeuten. Zunächst erscheint unter dem Decknamen Charles Sidons 1827 bei Cotta in Stuttgart in deutscher Sprache das Werk „Die Vereinigten Staaten von Nordamerika nach ihren politischen, religiösen und gesellschaftlichen Verhältnissen betrachtet”, als Orientierung für Deutsche und Engländer in den Staaten gedacht. Aufhorchen ließ dann in Österreich das ohne Verfassernamen erscheinende Buch „Aust-ria as it is” (1828), ein kritisches Bild der innerpolitischen Verhältnisse in Österreich unter Metternich entwerfend, in Österreich und Deutschland sogleich verboten.

Als Charles Sealsfield unternimmt er es in der Folge in seinen in Nordamerika und Mexiko spielenden Romanen, nicht Einzelschicksalen nachzugehen, sondern, wie er selbst sagt, „höhere Volksromane” zu schreiben. In ihnen sieht er verkörpert „das ganze Volk, sein soziales, sein

öffentliches, sein Privatleben, seine materiellen, politischen, religiösen Beziehungen...” So entstehen die Romane „Tokeah or the White Rose” (1828), deutsch unter dem Titel „Der Legitime und die Republikaner” (1833), den Gegensatz von roter und weißer Rasse aufzeigend, dann „Der Virey und die Aristokraten” (1834), in das von innerpolitischen Kämpfen erschütterte Mexiko von 1812 führend. „Morton oder die große Tour” (1835) zeigt die Welt der Geldaristokratie in den Staaten, „Süden und Norden” (1842) geht den Verschiedenheiten lateinamerikanischen und angloamerikanischen Wesens nach. Sein bekanntestes Werk ist „Das Kajütenbuch oder nationale Charakteristiken” (1841). In dieser Rahmenerzählung um die Befreiung von Texas aus mexikanischer Herrschaft steht die Geschichte von der „Prärie am Ja-cinto” mit ihren grandiosen Naturschilderungen. Max Brod schreibt in seinem Erinnerungsbuch „Der Prager Kreis”: „Diese Meisterschilderung schien mir unser ganzes Mittelschul-Lehrbuch für deutsche Prosa zu überstrahlen”. Und er fährt fort: „Ich glaube auch heute noch, daß man den großen Schriftsteller und Eigenbrötler Sealsfield eines Tages richtig entdecken wird. Ich sehe das Kajütenbuch eines schönen Tages als vielverkauftes Taschenbuch vor meinen Augen schweben.” Diese Vorausschau hat sich in jeder Hinsicht bald bewahrheitet.

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