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Keine Halbheiten!

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„Wir wollen nicht bloß einen Höflichkeitsbesuch beim Geldgeber, dem Steuerzahler, machen. Wir wollen ihm unsere beste Leistung präsentieren“: Einer der Stars der Burg-Tournee durch Österreich, Muliar, formulierte, worauf es bei dieser ersten Reise eines Bundestheaters durch die Bundesländer ankommt, auf die viel geforderte Öffnung der Bundestheater für weite Kreise, die sonst nie Gelegenheit haben, Theater zu sehen, aber auch auf die Uberwindung der „Schwellenangst“ bei manchen Bevölkerungsschichten. Insgesamt 24 Orte, nur wenige davon haben Theater oder gar eine Theatertradition, werden bis zum 15. Dezember „bespielt“. Unterrichtsmini-ster Sinowatz will damit vor allem Erfahrungen sammeln: „In Hinkunft sollen die Bundestheater eine kontinuierliche Bespielung solcher Orte, eine Art Theaterbetreuung garantieren. Für 1977 ist bereits eine Staatsoperntournee geplant, die im März in Enns beginnt... Opernführer Marcel Prawy soll dafür vorher beim Publikum werben. 1978 folgt eine Ballettournee. Und wir werden aus dieser Pioniertätigkeit eine Menge lernen. Grundsatz muß bleiben: die Spielstätten — Fabrikshallen, Gasthöffestsäle, Versammlungssäle — dürfen schon wegen des Stückangebots nicht unter eine gewisse Qualitätsgrenze gehen. Wir wollen überallhin nur ,gute Garnituren' von Künstlern schicken. Und wir wollen natürlich jeden Konkurrenzkampf Stadttheater—Staatstheater vermeiden!“

Sinowatz gab in Leoben-Donawitz, wo die Burg-Tournee startete, Zahlen bekannt, die beweisen: Wiens Bundestheaterpublikum ist durchaus kein „Elitepublikum der Großverdiener“, wie ihm vom ifes-Bericht vorgeworfen wurde. 6 Millionen Besucher kamen in den vergangenen vier Jahren, darunter 1,8 Millionen aus den Bundesländern (wobei die Umgebung Wiens den Hauptanteil hat), 1,4 Millionen Ausländer, 800.000 junge Menschen, 100.000 allein bei der Aktion „Österreichs Jugend lernt die Bundestheater kennen“.

Keine Frage — diese Burg-Tournee mit Nestroys „Früheren Verhältnissen“ und einer Collage aus anderen Nestroy-Stücken („Häuptling Abendwind“, „Die schlimmen Buben“, „Der Talisman“) war für die Situation der Staatstheater eminent wichtig. Die „heiligen Hallen“, von denen viele von Arnoldstein bis Loa an der Thaya und von Deutschaltenburg bis Lienz und Feldkirch als einem unerreichbaren Kulturgut der Nation“ reden, nehmen populärere Gestalt an. Ein entscheidender Schritt für den Kulturbegriff weiter Bevölkerungsschichten, eine Maßnahme, die zum Kulturkonsum animieren soll (wobei der ORF in Hinkunft mit Übertragungen noch entscheidend das Konsumbedürfnis steigern soll), die auch das Verständnis für Kultur fördern soll, wie das Frankreich durch Kulturhäuser — Malraux, Maisons de la culture —, Reiseproduktionen seit Jahren tut.

Um so mehr sollte man aber in Hinkunft eines vermeiden: daß nämlich nicht — wie in Leoben-Donawitz — dem etwas enttäuschten Publikum eine läppische Nestroy-Montage in Klamaukverpackung vorgesetzt wird. Die einen vergrämt dergleichen, weil sie eigentlich die „Burg“ und ihren „Stil“ kennenlernen wollen, die anderen, die damit gewonnen werden, werden um So enttäuschter sein, wenn die Burg oder die Oper einmal nicht mit Klamauk anreisen.

Ich glaube, man sollte den Mut haben, dem Publikum Anspruchsvolles vorzusetzen. In jeder Hinsicht Anspruchsvolles. Natürlich immer unter Bedachtnahme auf die technischen Verhältnisse der kleinen Bühnen, auf Bühnengröße, Beleuchtungsmöglichkeiten. Aber man sollte Stücke zeigen, mit denen man Unterhaltung und Bildung verbindet, und bei denen das Publikum vor allem nicht in seinen Erwartungen vom Theater enttäuscht wird. „Kulturreformer“ Sinowatz wird damit dem Publikum und sich selbst den besten Dienst erweisen. Denn es wäre schade, wenn dieser „Aufbruch“ erstarrter Formen, der mit so viel Elan vorangetrieben wird, sich in Halbheiten verlieren sollte.

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