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Konzerte mit Karl Richter, Friedrich Cerha und Emil Gilels

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Im Orgelzyklus der Gesellschaft der Musikfreunde spielte und dirigierte Korl Richter sechs Orgelkonzerte von Händel, und zwar nicht jene ersten sechs, die in den Jahren 1735 bis 1736 in London entstanden sind und die man (zwar nicht bei uns) immer wieder hören kann, sondern jene anderen sechs, die fünf Jahre später entstanden sind und bei denen es sich um Umarbeitungen der Concerti grossi 1, 5, 6, 9, 10 und 11 handelt. Man sah diesem Programm nicht ohne eine gewisse Sorge entgegen: ob da an einem Abend nicht zu viel des Guten und Gleichförmigen geboten würde. Aber es wurde nicht nur ein wichtiges, sondern auch ein hochinteresantes Konzert, voller Abwechslung und Spannung. Karl Richter, aJiein an der Orgel und als Bach-Interpret, war nicht immer nach unserem Geschmack. Auch bei den Orgel-Soll der Händel-Konzerte gab es einige allzu grelle und farbige Registrierungen. Aber was die Tempi, die Phrasierung und die Gesamtauffassung betrifft, so kann man mit Richter weitgehend übereinstimmen. Dies tat auch, unüberhörbar, das ORF-Symphonieorchester, das wir selten so ausdrucksvoll und präzise gehört haben (die vielen heiklen Fugati, besonders im Unisono der Streicherstimmen!) wie an diesem Abend, der mit drei Bach-Werken, die sich das ausdauernd applaudierende Publikum erzwang, beendet wurde.

Ein interessantes, wohldurchdachtes Programm in bester Ausführung haben wir Friedrich Cerha zu danken, der sein erweitertes „Reihe-Ensemble“ und einen kleinen ORF-Chor dirigierte. Der nicht genannte Titel dieses Abends im Großen Musikvereinssaal hätte lauten können „Auf dem Weg zur Schönbergschen Kammersymphonie“. — Es begann mit Wagners „Siegfried-Idyll“, um 1870 entstanden (hier vermißte man freilich den Philharmonischen Streicherklang und -glänz), und führte über drei schwer zu intonierende Chöre Op. 3 von Max Reger zu einem Frühwerk von Richard Strauss, dem Andante aus der Bläserserenade von 1881 zum ersten Höhepunkt: dem „Lied der Waldtaube“ aus Schönbergs „Gurreliedern“ (1901 bis 1910) und zu der tonaldtätsprengenden, thematisch auf einer aufsteigenden Quartreihe basierenden „Kammersymphonie“ aus dem Jahre 1906. Die schöne Partie der Waldtaube („Tot ist Tove, Nacht auf ihrem Auge ...“) war Gertrude Jahn anvertraut, deren angenehm timbrierte Stimme wohl auch einem größeren Begleitorchester, wie es Schönberg fordert, gewachsen gewesen wäre. Das Gurrelieder-Fragment zeichnete sich durch Klangschönheit, die Kammersymphonie durch mustergültige Transparenz aus. Nochmals: ein wichtiges, keineswegs didaktisches Konzert, das am 18. März, um 20 Uhr, im Programm von 0 1 gesendet wird.

Seit 1960 war Emil Gilels, einer der prominentesten Russen der internationalen Pianistenszene, nicht -mehr in Wien: Nun spielte er im Musikverein Mozarts Sonate KV 533, Brahms' späte Fantasien, op. 116, und Franz Liszts h-Moll-Sonate. Gilels zählt zu den bescheidenzurückhaltenden Künstlern, die ihr Feuer erst in den donnernden Akkordblöcken, vehementen Kaskaden, zum Beispiel eines Liszt-Werkes, entfesseln: Da baut er mit musikalischer Besessenheit, schier nicht zu bändigender Kraft und mit gewaltigen Gefühlseruptionen die Riesenform. Romantische Sehnsüchte, der Hymnus der Verklärung, brodelnde Abgründe, die er in den aufbrechenden Baßgängen aufreißt, scheinen ganz dicht nebeneinandergerückt. Das dramatische Pathos der alten russischen Pianistengarde klingt an. Aber zugleich ist alles kritisch gedacht, hinter dem entfesselten Klaviertheater steht der strenge Wille zur Architektur und ihren Gesetzen zum strengen Kalkül. Anders sein Brahms: Dokument eines Vereinsamten, mit einer Ergebenheit ih; die Stille gespielt. Jeder Anschlag schwingt gleichsam für sich aus. Mozart rückt er hingegen in die Nähe Bachs.

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