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Lieb zueinander

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Von Wilfried Zeller-Zellenberg mit spitzer Feder gezeichnet und geschrieben, erschien im Hoffmann und Campe' Verlag Hamburg ein amüsantes und etwas nachdenklich stimmendes Buch über die letzten Jahre der Monarchie. Ein Spiegelbild der Verhältnisse und Zustände im Vielvölkerstaat unter dem Doppeladler, „wo der Mensch durch natürliche Einflüsse zu verschiedenen Klassen heranwuchs“. Besonders hervorgehoben wird hier das harmonische Miteinanderleben und das obligate „Gut-zueinander-Sein“, was den Menschen der damaligen Zeit durch das Beispiel des gütigen alten Kaisers geläufig und selbstverständlich war. Daher auch der Titel des Buches von Zeller-Zellenberg: „Seid lieb zueinander. Ein k. und k. Kaleidoskop.“ Als Rahmenhandlung dient dem Autor die Geschichte von der Karriere einer gewissen Lintschi Novacek, eines Hausmeisterkdndes, die es von einer armen Veilchenverkäuferin bis zur Comtesse Luli bringt und obendrauf noch einen Grafen zum Ehemann bekommt. Im

Zusammenhang damit breitet der Autor vor den Augen des Beschauers ein buntes Durcheinander lustiger und bittersüßer Begebenheiten aus, nebst einer ganzen Menge markanter Menschentypen und Charaktere, die er, in feine Federzeichnungen gekleidet, hier Revue passieren läßt. Jede dieser Begebenheiten und Geschichterln ist genau beschrieben und fein zeichnerisch dargestellt; und um ja nicht mißverstanden zu werden, versieht der Autor seine Zeichnungen meist noch mit vielen zusätzlichen Erklärungstexten, begleitet von dem unvermeidlichen, die entsprechende Stelle fixierenden Pfeil. Auf den 352 großformatigen Seiten des Buches faszinieren uns die großangelegten, zeichnerisch wie kompositorisch gekonnt dargestellten Szenen ebenso wie die oft nur mit wenigen Strichen charakterisierten Menschentypen, Tiere und Gegenstände. Immer wieder begegnen wir auf den weißen Blättern meisterlich in Gestalt und Bewegung abgebildeten Menschen dieser Zeit: Beamten, Müitärs, Bauern, Kiberem, Damen und Halbweltdamen, Hausmeistern, Zigeunern, Dienstmännern, Revoluzzern, Fasseltiplern, Bettgehern, Praternymphen usw. Bald schauen wir in eine Hausmeisterwohnung oder in die Hofzuckerbäckerei Demel, bald ins Separee im Hotel Sacher, ins Cafe Central oder in das Labyrinth der Wiener Kanäle; sind Zeugen einer Militärpa-rade in Schönbrunn, einer kaiserlichen Audienz oder Jagd in Ischl, eines Blumenkorsos dm Prater, verschiedener bewegter Straßenszenen in Wien, des Kriegsausbruchs, des Begräbnisses Kaiser Franz Josephs I., der Exilierung des neuen Kaiserpaares Karl und Zita, des Kommens der Regierung Karl Renners. Dazu schreibt der Autor im begleitenden Text, „alle jene, die sich selber ernst nehmen, wurden hierzulande nie ernstgenommen und waren für den Österreicher nicht existent“ und wurden als Spintisierer bezeichnet. Die Normalen waren stets klassenbewußt und keiner fiel aus der Rolle, und jeder einzelne wußte, was er den Höheren und Niedrigeren schuldig war. Das Leben war wie eine Parade. Leben und leben lassen — lautete der monarchistische

Leitsatz. „Der linke Klassenflügel des Doppeladlers war damals noch sehr schwach“. Aber immerhin: „Die österreichische Revolution war ja bereits etabliert, nur in verschiedenen Ebenen. Die unterste zog lediglich nach. Das war ja das Phänomen der Monarchie.“ Zeller-Zellenberg kommt zu dem Schluß, daß der Österreicher noch immer eine Sehnsucht nach einem gütigen Vater in sich trägt — er verabscheut die Parteien, die doch nur gegeneinander regieren —, und glaubt im jetzigen republikanischen Kanzler einen echten österreichischen Vater, wie es der alte Kaiser einst war, gefunden zu haben. Rügen tut er nur den Kanzler-Ausspruch „Österreich muß europäisch denken“. Nach Meinung des Autors müßte der Kanzler-Ausspruch „Europäer, denkt österreichisch“1 lauten. Und freilich auch: „Seid lieb zueinander!“

SEID LIEB ZUEINANDER. Ein k. u. k. Kaleidoskop, gezeichnet und geschrieben von Wilfried ZeUeT' Zellenberg. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 1973. Leinen gebunden, 352 Seiten, Preis S 380.—.

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