6806005-1972_07_12.jpg
Digital In Arbeit

„Medea“ — reich illustriert

19451960198020002020

Uber Cherubini und seine Meisteroper „Medea“ haben wir an dieser Stelle vor kurzem ausführlich geschrieben. Bei der Staatsopernpremiere zu Beginn der vorigen Woche, die zugleich auch die erste Wiederaufnahme des seinerzeit so erfolgreichen Werkes seit 1880 war, bediente man sich der gegenwärtig in Italien gebräuchlichen, stark gekürzten Fassung mit den durchkomponierten Rezitativen Franz Lachners und eines italienischen Librettos von Carlo Zangarini (die Originalfassung ist die französische).

19451960198020002020

Uber Cherubini und seine Meisteroper „Medea“ haben wir an dieser Stelle vor kurzem ausführlich geschrieben. Bei der Staatsopernpremiere zu Beginn der vorigen Woche, die zugleich auch die erste Wiederaufnahme des seinerzeit so erfolgreichen Werkes seit 1880 war, bediente man sich der gegenwärtig in Italien gebräuchlichen, stark gekürzten Fassung mit den durchkomponierten Rezitativen Franz Lachners und eines italienischen Librettos von Carlo Zangarini (die Originalfassung ist die französische).

Werbung
Werbung
Werbung

Von der Musik Cherubinis hatte mancher sich vielleicht mehr dramatische Schlagkraft erwartet. Aber immerhin: sie ist geschickt gemacht, auf konventionelle Weise den jeweiligen Situationen und darzustellenden Personen angepaßt, sie ist melodiös — und nie langweilig. Ganz hervorragend versteht es Cherubini, für Solostimmen und Chor zu schreiben. Hier zeigt er eine bemerkenswerte Sicherheit und Virtuosität des Handwerks.

Was die Wiedergabe betrifft, so gebührt Horst Stein und dem Chor der große Kranz. Sie entsprechen voll und ganz den Anforderungen dieser schwierigen Partitur. Auch die drei Actricen blieben ihren Rollen kaum etwas schuldig, es wäre denn die bühnenbeherrschende, faszinierende Erscheinung der Titelheldin. Den riesigen, überaus diffizilen koloraturenreichen Gesangspart der Medea meisterte Leonie Rysanek dank der souveränen Beherrschung aller ihrer Mittel. Bereits in der ersten Viertelstunde ließ Lucia Popp als Creusa (die in der Oper Glauce heißt) eine Arie hören, die signalisierte, auf welch hohem Niveau hier musiziert wird. Zu ihnen gesellte sich mit schönem Timbre und guter Technik alsbald Margarita Lilowa als Neris, Begleiterin der Medea. Die beiden männlichen Protagonisten — Nicola Ghiuselev als König Kreon und Bruno Prevedi als Jason — waren befriedigend, nicht mehr. Mit der sich intensivierenden dramatischen Spannung steigerte sich auch Spiel und Ausdruck aller Mitwirkenden, wobei der Anteil des Regisseurs nicht immer genau auszunehmen war.

Freilich mag es nicht ganz leicht gewesen sein, an dieser Musik seine Phantasie zu entzünden. Der Zuschauer konnte sich jedenfalls vor allem an das Optische halten, und dies tat er mit Gewinn. Was Erich Brauer sich da alles hatte einfallen lassen (und wie er seine Einfälle zu formen und der Szene anzupassen wußte) bezeugt sein bedeutendes und originelles Talent und seine spezielle Begabung fürs Szenische: für Bühnenbilder, Kostüme und Kulissen.

Schon während des Vorspiels gibt es etwas zu sehen: eine archaisch wirkende ockerfarbene weibliche Figur vor flaumigem graublauen Hintergrund. Dann: die erste Szene mit der „Grundfigur“, einer roten Gigantin mit gedrungenem Leib und geflügelten Brüsten, neben ihr, mehr im Vordergrund, ein kleineres molochartiges Götterbild. Der obere Teil dieser Grundfigur kann vorgeschoben werden („Medea kommt auf uns zu“). Dort oben, auf diesem „Balkon“, spielt sich dann auch der ein wenig plötzlich erfolgende Untergang Medeas ab, der durch die von den Korinthern zur Rache aufgerufenen Götter herbeigeführt wird: als Sühne für den Mord an Glauce und den beiden Jason-Kindern.

Diese Aufführung ist Kunstfreunden mit sehr verschiedenen Ansprüchen zu empfehlen: Die Liebhaber der italienischen Oper haben die Möglichkeit, ein selten zu hörendes Meisterwerk in respektabler Besetzung kennenzulernen, während die Liebhaber der Moderne hauptsächlich optisch auf ihre Rechnung kommen werden, nicht zuletzt auch dank der vielen, vielen orientalischen Kostüme, die Brauer mit Geschmack und (vielleicht gefesselter?) Phantasie entworfen hat. Aber auf die Frage: wie kleidet man archaische Kinder? wußte auch er keine Antwort.

Nach einzelnen Arien und am Ende der drei Akte gab es sehr lauten und heftigen Beifall, der zuweilen um einige Grade stärker war als die vorausgegangenen künstlerischen Leistungen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung