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Mein neuer Besitz

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Eigentlich ist es ein kleiner Garten. Mir aber werden alle Gärten groß. Eigentlich ist es ein kleines Haus. Mir aber sind alle Häuser unermeßlich. Ich schließe das Tor zum Garten auf. Es ist ein verwilderter Garten. Tote Blumen, tote Vögel, streunende Katzen. Ich trete mit Widerwillen ein. Vogelgerippe, an denen Fleisch hängt. Mühsam erreiche ich die

andere Seite des Gartens, den Bach, der die Grenze bildet. Hier gibt es auch keinen Zaun. Mit jedem Meter, der mich dem Wasser näher bringt, werden die Pflanzen schwerer und saftiger. Die Feuchtigkeit schwemmt das Unkraut auf.

Bald wird es ein Gewitter geben. Wir haben fast jeden Tag Gewitter in unserer Gegend. Die Blitze jagen dann von allen Seiten auf uns ein, während die Wolken zumeist aus dem Westen kommen. Die Gewitter beginnen im April und enden erst im späten Oktober. Zwischen ihren Ausbrüchen glüht die Sonne und durchbohrt uns mit ihren brennenden Stunden. Auch die Nächte sind dann heiß. So wachsen die Urwälder: wie in diesem Garten.

Ich muß mich ja um die Liegenschaft kümmern. Das Haus ist weiß gekalkt, die geschlossenen Fensterbalken sind grün gestrichen. Das sieht gut aus im Kontrast zu den hohen Zypressen, aber die Fensterbalken müssen neu gepinselt werden. Uberall in den Farben breite Risse. Beim näheren Schauen entdeckt man dann auch, daß Dachschindeln fehlen. Inmitten des ziegelroten Daches gähnt es finster. Vielleicht regnet es gar ins Haus. Etwas muß geschehen, aber ich will nichts tun. Ich stehe gelähmt vor diesem Haus. Auch zum Garten fühle ich keine Nähe. Ich bin gegen meinen Willen hier, das soll endlich gesagt sein. Ich habe das Haus und den Garten geerbt. Jetzt bin ich Eigentümer von Schwierigkeiten geworden. Auch die Vogelknochen, an denen das Fleisch hängt, gehören jetzt mir.

Es gibt drei Möglichkeiten. Den Garten abschließen und ihn zu vergessen suchen, die eine. Diese Möglichkeit verbietet sich. Ich würde bestimmt gezwungen werden, mich des Gartens zu erin-

nern. Das Gericht wird mich vorladen, und die Nachbarn werden sich beklagen wegen des verwilderten Gartens. Keiner will eine Unkrautwiese vor Augen haben. Das Steueramt wird für den Garten und für das Haus Steuern einfordern. Das Grundbuch wird mich für jedermann als Eigentümer der Liegenschaft ausweisen. Ich kann die Eintragung meines Namens nicht verhindern. Vergessen läßt' sich die Erbschaft also nicht.

Ich könnte fliehen, das ist die zweite Möglichkeit. Aber ich besitze dafür nicht die Mittel, mein einziger Besitz ist diese Erbschaft. Und soll ich mir wegen einer lächerlichen Erbschaft mein Leben zerstören? Flucht geht also nicht.

Der dritte Weg: Meine Erbschaft zu säubern und auszubauen, instand zu setzen, sie zu genießen. Ich würde Zeit und Geld und Leben — mein Leben — in die Erbschaft hineinpumpen, ich lasse den Garten bebauen und pflegen, ich lasse das Dach des Hauses erneuern, ich lasse die Fensterbalken streichen.

Ein vierter Ausweg fällt mir ein. Ich könnte die Liegenschaft auch

verkaufen. Ja, ich könnte sie loswerden. Wenn es sein muß, könnte ich sie verschenken. Aber das bedeutet auf jeden Fall Verhandeln, Reden. Und davor graut mir am meisten. Auch ist jeder, der die Liegenschaft haben möchte, mein Feind. Ich mache es mir und den anderen unnötig schwer, aber so ist es nun einmal.

Ich schließe die Tür zum Hause auf. Das Haus ist seit langem unbewohnt, aber noch möbliert. Das Ungeziefer liebt so ein verlassenes Haus. Die Luft ist entsetzlich. Als der Erbauer des Hauses noch lebte, erzählte er oft, wie kalt es darin im Winter zu sein pflegte. Er kam in seiner Jugend immer erst spät nach Hause und ging sehr früh schon weg#Er lebte allein und fand niemals Zeit, in dem Hause einzuheizen. Gar nicht selten, erinnerte sich der Erbauer, gefror das Wasser in den Schüsseln. Die Nachbarn sagten dem jungen Menschen den frühen Tod durch Erfrieren voraus. Aber sie irrten. Er wurde sehr alt. Hätte er nur mich überlebt, damit ich die Liegenschaft nicht zu erben brauchte.

Ich gehe durch die Zimmer des Hauses. Ich öffne alle Türen und sammle Eindrücke und denke mir, es könnte hier gemütlich werden, wenn einer es gemütlich machte. Aber dazu habe ich kein Talent. Mich ekelt vor den dichten Spinnennetzen, die mein Gesicht berühren. Nein, das ist nicht mein Haus. Wie konnte sein Erbauer es mir nur überlassen, aus Liebe, wie er schrieb! Fast will ich glauben, daß er mich haßte.

Ich sollte das Haus abtragen und den Garten einebnen und mit Beton pflastern lassen. Ubersicht gewinnen. Eine glatte Fläche aus dem Unbegreiflichen machen. Dann würde die Erbschaft erträglich sein. Aber zugleich weiß ich nicht, wo ich wohnen soll. Auch sehe ich ein, daß keine Erbschaft verständlich ist. Sie wird von den Toten in böser Absicht hinterlegt.

Schon höre ich Donner. Das Gewitter ist da. Ich beeile mich, das Haus zu verlassen, ich schließe sorgfältig hinter mir ab. Es ist eine üble Gewohnheit, Eigentum schützen zu wollen, auch wenn man es gar nicht will. Ich husche aus dem Garten und versperre auch ihn. Die ersten Tropfen fallen schon. Sie sind schwer und klebrig. Ich starte den Wagen und fahre davon. Aber die Wolken, gewundene Fragezeichen, holen mich ein.

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