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Mein russischer Leutnant

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Es war im Oktober 1914. Ich stand nicht mehr bei meinem schönen weißen Dragonerregiment, bei dem ich die fröhlichen und friedlichen Leutnants jähre verbracht hatte, sondern im Felde als Generalstabsoffizier bei einer Infanteriedivision, die jener Armee angehörte, die nach mannigfachen Rückschlägen soeben wieder bis an den San und nach Prze-mysl vorgedrungen war und die Festung wenigstens in der westlichen Hälfte aus der ersten russischen Einschließung befreit hatte.

Lange aber währte die Freude über den Entsatz der Festung nicht. Die unglückliche Lage im Norden der Front hatte es notwendig gemacht, daß wir zum zweitenmal Przemysl feindlicher Umklammerung überlassen und uns nächtlicherweile vom Feinde loslösen mußten. Ich wurde damals zum ahnungslosen Befehlshaber des Werkes Siedliska der Festung entsendet, um ihm zu melden, daß die Division um zwei Uhr früh ihre Stellungen räumen müsse. Ich sehe noch den General vor mir, wie er blaß bis in die Lippen wurde und sagte:

„Was, Ihr marschiert weg? Die ganze Feldarmee marschiert ab? Das bedeutet Sibirien für uns.“

Und wirklich mußten wir damals weit nach dem Westen zurück bis in die Gegend der Festung Krakau. Erst aus diesem Räume gelang dann noch im selben Monat dank der vereinigten österreichisch-deutschen Maßnahmen der Erfolg in der Schlacht von Limanowa-Lapanöw. Die Russen wurden nun gegen Ende dieses Monates auch im Abschnitte, wo meine Division stand, zum raschen Rückzug gezwungen.

Wir wußten, daß das 3. russische Armeekommando des Generals Dimitriew in Okocim, einer der größten galizischen Brauereien mit herrlichem Herrenhaus, gewesen war, und nun, als die Russen wichen, hoffte irgendwer bei einem hohen Kommando, daß man vielleicht gar noch durch schnellen Zugriff etwas von diesem Armeekommando „hoppnehmen“ könnte. Infolgedessen wurde schleunigst eine Streifabteilung aus zwei Schwadronen Divisionskavallerie und einer reitenden Batterie gebildet und das Ganze unter Befehl eines Oberstleutnants gestellt, dem ich als Generalstabsoffizier beigegeben wurde. Obwohl wir selbst die Aussichten dieser Unternehmung sehr skeptisch beurteilten, ritten wir was das Zeug hielt los, und als wir frühmorgens nächst Okoöim eintrafen, fragte ich dort herumlungernde Juden, die einzigen, mit denen man deutsch reden konnte, ob noch Russen in der Ortschaft seien.

„Viel waren da“, war die Antwort, „aber jetzt keiner mehr, alles weg, alles weg.“

Enttäuscht ritt ich hinauf in die Brauerei, sah überall die Spuren hastigen Verlassens der Quartiere sowohl, wie der Stallungen, Unordnung, eingeschlagene Fensterscheiben usw. Dann ging ich hinauf in das prachtvolle Herrenhaus.

Wir, die wir seit Monaten kein Bett mehr gesehen, sahen mit Neid die herrlichen Lagerstätten und den Luxus der Einrichtung der Zimmer. Ich ging mit einigen Leuten über einen Gang, fast alle Türen waren offen, man konnte in die Zimmer hineinsehen, nur eine war zu. Neugierig öffnete ich gerade diese und sah mich plötzlich in einem mit roten Seidentapeten bespannten, luxuriösen Schlafzimmer mit einem Himmelbett im Erker. Ich trete in das Zimmer und erblicke auf dem Tisch eine Offizierskappe mit dem ovalen russischen Abzeichen, einen silberdurchwirkten Dienstgürtel, der unserer Feldbinde entspricht, eine Kartentasche, Revolver, Handschuhe usw.

„Schauen Sie, Schneider, das sind doch russische Sachen?“

In dem Augenblick öffnet sich eine Tapetentür, und aus dem dahinter gelegenen Badezimmer tritt splitternackt, wie ihn Gott der Herr geschaffen, ein Mann heraus und sieht uns mit einem derartig verblüfften Gesicht an, wie ich in meinem ganzen Leben keines gesehen habe. Mit einem Sprung nimmt der Wachtmeister den Revolver vom Tische an sich, aber der Mann im Adamskostüm, der dachte gar nicht an Widerstand. Ich war in ein schallendes Gelächter ausgebrochen, der Unteroffizier hinter mir auch, und schließlich lachte auch der Überraschte.

Bald stellte sich heraus, daß er ein Balte war, der ein wenig deutsch radebrechte, und so erfuhren wir, daß es ein Leutnant der Stabskompagnie des russischen Armeekommandos war, der nach dem Abmarsch noch letzte Ordnung gemacht hatte. Er dachte, die Verfolger würden so bald nicht kommen, er könne noch ruhig ein Bad nehmen und das letzte Mal die Annehmlichkeiten dieser schönen Villa genießen. Wir aber meldeten am Abend zurück, wir hätten leider das Armeekommando nicht mehr angetroffen, ich hätte aber doch noch ein letztes Endchen davon in Gestalt eines Leutnants und seines mittlerweile auch gefangengenommenen Burschen erwischt.

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