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Mit Stöcken und Eisenstäben“

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Seit Monaten trübten sich die Beziehungen zwischen Frankreichs öffentlicher Meinung und der Polizei. In einigen vorzüglich inszenierten Filmen wurden die unorthodoxen Methoden der Ordnungshüter demonstriert, die am Rande der Legalität oder bereits jenseits der Gesetze Geständnisse erzwingen. Und bei zahlreichen politischen Kundgebungen der extremen Linken, bei Zusammenstößen mit revoltierenden Bauern oder Kleinkaufleuten zeigte die Sondertruppe CRS, daß sie vorzüglicher Meister des Straßenkampfes geworden ist*

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Seit Monaten trübten sich die Beziehungen zwischen Frankreichs öffentlicher Meinung und der Polizei. In einigen vorzüglich inszenierten Filmen wurden die unorthodoxen Methoden der Ordnungshüter demonstriert, die am Rande der Legalität oder bereits jenseits der Gesetze Geständnisse erzwingen. Und bei zahlreichen politischen Kundgebungen der extremen Linken, bei Zusammenstößen mit revoltierenden Bauern oder Kleinkaufleuten zeigte die Sondertruppe CRS, daß sie vorzüglicher Meister des Straßenkampfes geworden ist*

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Sie sehen manchmal furchterregend in ihren schwarzen Uniformen aus. Plastikschilder schützen den Körper, und die Helme verwandeln diese Soldaten der „inneren Sicherheit“ in eine Art von Marsbewohnern. Maoisten und Trotzkisten provozierten häufig solche Einsatzgruppen und verglichen sie mit der SS. Der Innenminister verteidigte energisch seine Männer, bestritt jede Art von Brutalität und beschuldigte die Ruhestörer, im Rahmen einer internationalen Verschwörung die Grundlagen der staatlichen und gesell-

schaftlichen Ordnung der Nation zu bedrohen. Die Linkspresse führte zahlreiche Beispiele von polizeilichen Übergriffen an, die jeweils schwer zu kontrollieren waren. Die meinungsbildende Zeitung „Le Monde“ wiederum zitierte des öfteren die Aussagen von Zuschauern bei Kundgebungen, welche durch Polizisten molestiert worden waren. Nach einem Angriff gegen die jordanische Botschaft durch ein linkes Rollkommando im Frühsommer, verletzte ein Polizist den als Extremisten bekannten jungen Christian Riss schwer. Er hatte sich in der Nähe des Tatortes befunden und wurde in seinem gefährlichen Zustand zuerst liegengelassen und dann von Gefängnis zu Gefängnis geschleppt. Eine langandauemde unangenehme Polemik zwischen dem Innenministerium und der Presse war die Folge des Vorfalls.

Ping-Pong mit Menschen

Das Verhältnis zwischen Journalisten und Ordnungshütern verschlechterte sich zu Beginn des Jahres 1971. Die bekannte Journalistin des „Nouvel Observateur“, Michele Manceaux, hatte im Auftrag ihrer Zeitschrift die Streiks in den Automobilwerken Renault verfolgt Am 11. Mai 1971 wurde die Reporterin vor ihrem Haus von vier höflichen Männern aufgefordert, ihre Wohnung wieder zu betreten. Ohne einen Durchsuchungsbefehl vorzulegen, durchwühlten die Beamten das Appartement und schleppten die junge Frau auf das nächstgelegene Polizeikommissariat, wo sie mehrere Stunden lang festgehalten wurde.

Am 29. Mai wurde Alain Jaubert, klein und kurzsichtig, während einer Straßenkundgebung verhaftet und des Angriffs auf Polizisten beschuldigt. Eine Stunde nach der Festnahme wurde dieser Mitarbeiter einer wissenschaftlichen Zeitschrift und gelegentlicher Korrespondent des „Nouvel Observateur“ mit Kopfverletzungen in ein Spital eingeliefert. Ein Untersuchungsrichter klagte Alain Jaubert des öffentlichen Aufstandes an. Der Betroffene gab allerdings eine vollkommen andere Version des Vorfalles. Er habe sich rein zufällig in der Nähe eines Verwundeten befunden und diesem, der zu einem Polizeiauto transportiert wurde, aus humanitären Gründen beistehen wollen. Jaubert schildete plastisch seine Auseinandersetzung mit 13 Polizisten, die mit ihm Ping- Pong gespielt — mit anderen Worten von einem Mann zum anderen geschleudert — und im Auto weiter kräftig durchgeprügelt hätten. So sei er unter anderem mit Stöcken und Eisenstäben geschlagen worden. Fest steht, daß sich das Spital nur einige Minuten vom Schauplatz des Unfalles entfernt befindet Alain Jaubert dagegen wurde erst eine Stunde später den Ärzten übergeben.

Am 10. September pilgerten 300 Demonstranten von der friedlichen Badestadt Evian zur nächstgelegenen Präfektur und stießen wilde Drohungen aus. „Wir werden das Finanzministerium erstürmen, das Hotel Matignon besetzen und, wenn notwendig, den Elysėe-Pala^t belagern.“ Arbeitslose bewunderten diesen kämpferischen Willen und waren verblüfft, als sie in den Marschierenden Polizisten erkannten. Die Beobachter der französischen Innenpolitik hatten eine Kraftprobe zwischen Arbeitnehmerorganisationen und Regierung für September/ Oktober vorausgesagt. Viele unter ihnen mußten mit Überraschung eine viel gefährlichere Krise an einer anderen Front registrieren. Nicht nur die Beziehungen zwischen Polizei und öffentlicher Meinung, vertreten durch ihre Publizistik, sind verbesserungsbedürftig.

In den letzten Monaten kam es einmal sogar zur offenen Befehlsverweigerung eines polizeilichen Ein- satakommandos. In der Nacht vom 5. zum 6. Juni verhielten sich die Ordnungshüter neutral, als dutzende obskure Plünderer in das Quartier Latin drangen, Auslagescheiben zertrümmerten und die Geschäftsleute terrorisierten. Der Öffentlichkeit vielfach verborgen blieb ein Zusammenstoß zwischen Studenten und Polizei in der Universitätsstadt Nan- terre. Damals mußte sogar die Gendarmerie die Hörer vor den wütenden Angriffen der Polizisten schützen.

Im Frühjahr veröffentlichte ein pensionierter hoher Polizeioffizier, Denis Langlois, im angesehenen Verlag Seuil, das „Schwarze Buch der Französischen Polizei“. In dieser Studie wurden 36 Fälle angeführt, bei denen Polizisten die Legalität verlassen und sich bei Untersuchungen oder im Dienste straffälliger Taten schuldig gemacht haben sollen. Der Innenminister zeigte Verfasser und Verleger in fünf Fällen der Verleumdung gegenüber der Polizei an, mußte aber die anderen angeführten Fakten stillschweigend übergehen.

Die Fronde der Polizei überraschte nun die Technokraten des Innenministeriums. Der zuständige Minister reagierte scharf und köpfte das Exekutivbüro der Polizeigewerkschaft, indem er fünf führende Offiziere entließ oder pensionierte. Die Sprecher der autonomen Polizei- gewerkschaft — sie vertreten 80 Prozent des Effektivbestandes — drohten daraufhin mit harten Maßnahmen, Aufmärschen und Streiks. Es handelt sich um eine Krise, die nicht nur soziale Aspekte zeigt, sondern mit starken psychologischen Momenten, innenpolitischen Überlegungen und parteistrategischen Perspektiven verknüpft ist.

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